OLG Frankfurt a.M.: Zur rechtsmissbräuchlichen Höhe des Streitwerts bei UWG-Sachen

veröffentlicht am 4. Januar 2022

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.11.2021, Az. 6 W 90/21
§ 8c Abs 2 Nr 3 UWG, § 51 GKG

Die Zusammenfassung der Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. finden Sie hier (OLG Frankfurt a.M.: Zur rechtsmissbräuchlichen Höhe des Streitwerts bei UWG-Sachen). Zum Volltext der Entscheidung:


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Oberlandesgericht Frankfurt a.M.

Beschluss



Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Der Gebührenstreitwert wird auf 33.000 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die von den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin im eigenen Namen eingelegte Beschwerde ist nach § 68 Abs. 1 GKG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Nach dem in Rechtsstreitigkeiten aus dem Lauterkeitsrecht anzuwendenden § 51 Abs. 2 GKG ist der Streitwert entsprechend der sich aus dem Antrag des Klägers bzw. Antragstellers ergebenden Bedeutung der Sache zu bestimmen (zu den Grundsätzen bei der Streitwertfestsetzung im Lauterkeitsrecht: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.7.2021 – 6 W 53/21). Soweit das Landgericht auf §§ 48, 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO abgestellt hat, ist dies daher schon im Ansatz fehlerhaft.

Entscheidend bei Unterlassungsanträgen ist das Interesse des Klägers bzw. Antragstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, das maßgeblich durch die Art des Verstoßes bestimmt wird, insbesondere seine Gefährlich- und Schädlichkeit für die Träger der maßgeblichen Interessen (BGH, Beschluss vom 15.9.2016 – I ZR 24/16 = GRUR 2017, 212 – Finanzsanierung). Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats kommt der Streitwertangabe des Anspruchsstellers zu Beginn des Verfahrens eine indizielle Bedeutung für das tatsächlich verfolgte Interesse zu. Damit ist grundsätzlich das sog. „Angreiferinteresse“ maßgeblich, also das wirtschaftliche Interesse des Klägers bzw. Antragstellers, das nach objektiven Maßstäben zu bewerten ist (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 3.11.2011 – 6 W 65/10 = WRP 2017, 719; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.7.2021 – 6 W 53/21).

2. Die Antragstellerin hat in der Antragsschrift den Streitwert mit 50.000 € für die Hauptsache und – der Regelung in § 51 Abs. 4 GKG gehorchend – mit 33.000 € für das Eilverfahren angegeben. Dies entspricht der Angabe in der Abmahnung vom 4.1.2021 (Bl. 63 d.A.), in der ebenfalls ein Streitwert von 50.000 € angegeben wurde.

3. Eine Herabsetzung des Streitwerts kam nicht in Betracht. Zwar kann der Streitwert nach § 51 Abs. 3 S. 1 GKG gemindert werden, wenn die Bedeutung der Sache für den Beklagten bzw. Antragsgegner erheblich geringer zu bewerten ist als der sich aus § 51 Abs. 2 GKG ergebende Streitwert. Das ist hier indes nicht der Fall. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände – und entgegen der Auffassung des Landgerichts – erscheint der von der Antragstellerin vorprozessual angegebene Streitwert von 50.000 € nicht übersetzt.

a) Der Antragsgegnerin werden Verstöße gegen §§ 3, 3a UWG i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 b) VO (EG) Nr. 834/2007 (ÖkoVO) vorgeworfen, da sie Lebensmittel als biologisch angeboten und verkauft hat, ohne sich einem Kontrollsystem nach Art. 27 ÖkoVO zu unterstellen. Bei Verstößen dieser Art sind sowohl erhebliche Verbraucherinteressen als auch die Interessen der Antragstellerin als Mitbewerberin betroffen, die sich insoweit rechtstreu verhält. Anders als z.B. bei der Verletzung von Kennzeichnungspflichten, die den Mitbewerber nicht unmittelbar betreffen oder benachteiligen, ist hier ein Wettbewerbsnachteil für die Antragstellerin zu erkennen, die sich – im Gegensatz zur Antragsgegnerin – den Mühen und Kosten der Akkreditierung gestellt hat.

b) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin kann nicht von einem unterdurchschnittlichen Angriffsfaktor ausgegangen werden. Ausweislich des unbestrittenen Vortrags der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zahlreiche verschiedene Produkte mit der Bezeichnung „Bio“ angeboten. In der Antragsschrift sind allein acht Produkte aufgeführt, wobei die Liste ersichtlich nicht abschließend ist, da sie mit „etc.“ endet.

Da es auch um Verbraucherinteressen geht, sind nicht allein der Umsatz und Gewinn entscheidend, den die Antragsgegnerin durch den Verkauf der betroffenen Produkte erwirtschaftet hat. Es kommt auch nicht maßgeblich auf den Stückpreis der Produkte bei der Antragsgegnerin an, wie das Landgericht in seinem Nicht-Abhilfebeschluss gemeint hat. Im Übrigen sind die von der Antragsgegnerin erzielten Umsätze auch keineswegs vernachlässigbar gering. Nach den Angaben im Schreiben vom 15.7.2021 (Bl. 194 f. d.A.) erzielte sie allein im Jahr 2020 – allerdings mit ihrer gesamten Produktpalette – einen Umsatz von 700.000 €.

Ebenso wenig kann der Umstand, dass die Antragsgegnerin seit April 2021 ordnungsgemäß zertifiziert ist, rückwirkend Auswirkungen auf die Höhe des Streitwertes haben.

Und schließlich spielt es – entgegen der Auffassung des Landgerichts – für die Bemessung des Streitwertes auch keine Rolle, dass die Antragsgegnerin behauptet, sie sei davon ausgegangen, dass der Betreiber des Miet-Shops, bei dem sie die streitbefangenen Waren eingestellt hat, für eine korrekte „Einspielung“ sorgen würde.

c) Sofern das Landgericht bei der Bemessung der Höhe des Streitwertes auch auf Aspekte der Rechtsmissbräuchlichkeit nach § 8c UWG n.F. bzw. § 8 Abs. 4 UWG a.F. abstellen will, ist auch dies fehlerhaft. Nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG ist eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen, wenn ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung unangemessen hoch ansetzt. Der Gesetzgeber hat damit ein Indiz geschaffen, das für eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung von lauterkeitsrechtlichen Ansprüche spricht (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG, 39. Auflage, § 8c Rn 19). Die Norm macht damit aber – entgegen der Ansicht des Landgerichts – keine Vorgaben für die Bemessung des Gegenstands- bzw. Gebührenstreitwertes. Würde man der Rechtsauffassung des Landgerichts folgen, hätte es die einstweilige Verfügung im vorliegenden Fall gar nicht erlassen dürfen, wenn der Gegenstandswert im Abmahnschreiben (seiner Meinung folgend) zu hoch angesetzt war oder – wie im Nicht-Abhilfebeschluss ausgeführt – die Antragstellerin in rechtsmissbräuchlicher Absicht „gezielt nach abmahnfähigen Produkten“ gesucht hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.