OLG Frankfurt a.M.: Der Begriff „Variobeitrag“ einer Krankenkasse kann Verbraucher in die Irre führen

veröffentlicht am 28. Februar 2017

OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 08.12.2016, Az. 6 U 124/16
§ 5 UWG

Das Urteil des OLG Frankfurt haben wir hier zusammengefasst (OLG Frankfurt – Irreführender Begriff Variobeitrag), den Volltext der Entscheidung finden Sie nachstehend:


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Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 7.6.2016 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Gründe


I.
Die Parteien streiten über irreführende Angaben zum Beitragssatz einer Krankenkasse.

Die Antragsgegnerin ist eine gesetzliche Krankenkasse – Betriebskrankenkasse. Im Rahmen ihres Internetauftrittes warb sie unter dem Stichwort „Beitragssatz“ wie folgt (Anlage Ast7):

„Der allgemeine Beitragssatz für die gesetzliche Krankenversicherung beträgt seit Januar 2015 14,6 % Ihres Einkommens. Diesen Beitragssatz tragen zur Hälfte Sie, die andere Hälfte, also 7,3 %, übernimmt Ihr Arbeitgeber bzw. der Rentenversicherungsträger. Zusätzlich zu diesem Beitragssatz erhebt die X-BKK einen Variobeitrag in Höhe von 1,4 % Ihres Einkommens. Der Variobeitrag ist von den Mitgliedern allein zu zahlen.“

Bei dem als „Variobeitrag“ bezeichneten Beitragsbestandteil handelt es sich um den Zusatzbeitrag im Sinne von § 242 SGB V, der erhoben werden kann, wenn die Krankenkasse ihren Finanzbedarf durch Vereinnahmung des einheitlichen Beitragssatzes nicht decken kann.

Das Landgericht hat der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 11.3.2016 im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt,

geschäftlich handelnd den Zusatzbeitrag im Sinne des § 242 SGB V als „Variobeitrag“ zu bewerben, wenn dies geschieht wie in der Anlage Ast 7.

Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit Urteil vom 7.6.2016 die einstweilige Verfügung bestätigt. Gegen diese Beurteilung wendet sie sich mit der Berufung.

Wegender weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7.6.2016 abzuändern, den Beschluss vom 11.3.2016 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 8.3.2016 zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1.
Es besteht ein Verfügungsgrund (§ 12 II UWG). Die Antragstellerin hat sich nicht durch ein zu spätes Vorgehen selbst in Widerspruch zur vermuteten Dringlichkeit gesetzt. Die Antragsgegnerin hat keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass die Antragstellerin schon vor dem 8.2.2006 Kenntnis von der angegriffenen Werbung hatte. Insoweit kann auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden.

2.
Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin gemäß §§ 8 I, III Nr. 2, 3 I, 5 I Nr. 1 UWG verlangen, es zu unterlassen, im Zusammenhang mit der Werbung nach Anlage Ast 7 den Zusatzbeitrag als „Variobeitrag“ zu bezeichnen.

a)
In der angegriffenen Werbung liegt eine „geschäftliche Handlung“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Eine gesetzliche Krankenkasse, die auf ihrer Internetseite Angaben macht, um Neukunden zu gewinnen oder ihre Mitglieder von einem Wechsel zu einer anderen Krankenkasse abzuhalten, ist als „Unternehmer“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWGanzusehen (vgl. BGH GRUR 2014, 1120 Rn. 16 [BGH 30.04.2014 – I ZR 170/10] – Betriebskrankenkasse II). Die streitgegenständliche Werbung hängt bei objektiver Betrachtung mit der Förderung des Absatzes der Dienstleistungen der Antragsgegnerin zusammen.

b)
Die Bezeichnung „Variobeitrag“ ist im Zusammenhang mit dem aus der Anlage Ast 7 ersichtlichen Werbebeitrag irreführend.

aa)
Entgegen der Ansicht des Landgerichts wird allerdings nicht verschleiert, dass es sich bei dem Variobeitrag um einen zusätzlichen Beitrag handelt, der auf jeden Fall erhoben wird. Der Begriff „Variobeitrag“ hat für sich genommen keinen klaren Bedeutungsgehalt. Er weist auf eine irgendwie geartete Variabilität hin. Aus den entsprechenden Abschnitten des Textes zum Beitragssatz (Anlage AST 7, 2. Seite) ergibt sich aber für den verständigen Durchschnittsverbraucher mit hinreichender Deutlichkeit, dass sich der zu entrichtende Gesamtbeitrag aus einem allgemeinen Beitragssatz in Höhe von 14,6 Prozent des Einkommens, der zur Hälfte vom Arbeitgeber übernommen wird, und einem „zusätzlich zu diesem Beitragssatz“ von der Antragsgegnerin erhobenen Beitrag in Höhe von 1,4 Prozent des Einkommens, der vom Versicherten allein zu zahlen ist, zusammensetzt. Die Antragsgegnerin macht dabei keine Aussagen dazu, wie die Höhe dieses zusätzlich erhobenen Beitrags im Verhältnis zu den Angeboten ihrer Mitbewerber einzuschätzen ist.

bb)
Eine Irreführung ergibt sich jedoch daraus, dass die Bezeichnung „Variobeitrag“ dem Kunden suggeriert, der Beitrag könne eine Vergütung für Extraleistungen sein, die die Antragsgegnerin zusätzlich zu den gesetzlichen Leistungen erbringt und die insofern „variabel“ sind. Maßgeblich ist die Sicht eines durchschnittlich verständigen und situationsadäquat aufmerksamen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser wird nicht nur den Absatz des Werbetextes zur Kenntnis nehmen, in dem der Begriff „Variobeitrag“ erklärt wird. Vielmehr wird er den Text unter der Überschrift „Ihre X-BKK – Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung“ von Beginn an lesen. Die angegriffene Werbeaussage muss deshalb in ihrem Kontext gesehen werden (Senat, GRUR-RR 2014, 402 Rn. 27 – Die Gefahren der „E-Zigarette“ m.w.N.). Gleich im ersten Abschnitt wirbt die Antragsgegnerin damit, dass sie neben den gesetzlichen Leistungen eine große Zahl an „Extras“ erbringt. Wörtlich heißt es (Anlage AST 7, 1. Seite):

„Bei der X-BKK erhalten Sie für ihren Beitrag neben den gesetzlichen Leistungen eine große Zahl an nützlichen EXTRAS -“

Es liegt daher nahe, den Variobeitrag mit diesen Extraleistungen in Verbindung zu bringen. Tatsächlich ist der Variobeitrag aber unstreitig nichts anderes als der „Zusatzbeitrag“ nach § 242 SGB V. Er deckt also nicht diejenigen Leistungen ab, die über die gesetzlichen Leistungen hinausgehen. Die Fehlvorstellung wird nicht durch besondere Vorkenntnisse der Versicherten ausgeschlossen. Entgegen der vom Justiziar der Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht kann nicht davon ausgegangen werden, dass einem durchschnittlich informierten Versicherten bekannt ist, dass gesetzliche Krankenkassen für freiwillige Nebenleistungen gar keinen Zusatzbeitrag verlangen dürfen. Zu einer Fehlvorstellung des Verkehrs trägt weiterhin der Umstand bei, dass die Antragsgegnerin die einzige gesetzliche Krankenkasse in Deutschland ist, die den gesetzlich geregelten „Zusatzbeitrag“ nicht so nennt.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Vorinstanz:
LG Frankfurt a.M., Az. 3-6 O 19/16