EuGH: Wann ist die Bezeichnung eines Mineralwassers als „natriumarm“ nicht irreführend?

veröffentlicht am 13. Januar 2016

EuGH, Urteil vom 17.12.2015, Az. C-157/14
Art. 1 Verordnung Nr. 1924/2006, Art. 13 Verordnung Nr. 1924/2006; Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2009/54

Eine Kurzbesprechung dieser Entscheidung finden Sie hier; den Volltext im Folgenden:

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

In der Rechtssache C‑157/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d‘État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 26. März 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 4. April 2014, in dem Verfahren

Neptune Distribution SNC

gegen

Ministre de l’Économie et des Finances

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richter J. Malenovský und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Neptune Distribution SNC, vertreten durch D. Bouthors, M. Fayat und A. Vermersch, avocats,

–        der französischen Regierung, vertreten durch S. Menez, D. Colas und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch I. Chalkias, E. Leftheriotou und A. Vasilopoulou als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Santoro, avvocato dello Stato,

–        des Europäischen Parlaments, vertreten durch A. Tamás und J. Rodrigues als Bevollmächtigte,

–        des Rates der Europäischen Union, vertreten durch J. Herrmann und O. Segnana als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herbout-Borczak und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juli 2015

folgendes

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft zum einen die Auslegung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl. L 404, S. 9, und Berichtigung ABl. 2007, L 12, S. 3) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 107/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 (ABl. L 39, S. 8) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1924/2006) und zum anderen die Gültigkeit von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 109, S. 29), Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern (ABl. L 164, S. 45) und Anhang III dieser Richtlinie im Licht des Anhangs der Verordnung Nr. 1924/2006.

Das Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Neptune Distribution SNC (im Folgenden: Neptune Distribution) und dem Ministre de l’Économie et des Finances (Minister für Wirtschaft und Finanzen) über die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung, die am 5. Februar 2009 vom Leiter der für das Departement Allier zuständigen Einheit der Regionaldirektion Wettbewerb, Verbraucher und Betrugsbekämpfung der Auvergne (Unité départementale de l’Allier de la direction régionale de la concurrence, de la consommation et de la répression des fraudes d’Auvergne, Frankreich) verfügt wurde, sowie der Entscheidung des Ministers für Wirtschaft, Industrie und Beschäftigung (Ministre de l’Économie, de l’Industrie et de l’Emploi) vom 25. August 2009, mit der der Widerspruch von Neptune Distribution zurückgewiesen wurde.

Rechtlicher Rahmen

EMRK

Art. 10 („Freiheit der Meinungsäußerung“) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) bestimmt:

„(1)      Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. …

(2)      Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind … zum Schutz der Gesundheit …, zum Schutz … der Rechte anderer …“

Unionsrecht

Charta

Art. 11 („Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sieht in Abs. 1 vor:

„Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.“

Art. 16 („Unternehmerische Freiheit“) der Charta lautet:

„Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.“

In Art. 52 („Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze“) der Charta heißt es:

„(1)      Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

(3)      Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.

(7)      Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“

In den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17, im Folgenden: Erläuterungen zur Charta) wird zu Art. 11 der Charta klargestellt, dass nach Art. 52 Abs. 3 der Charta das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit die gleiche Bedeutung und Tragweite hat wie das durch die EMRK garantierte Recht.

Verordnung Nr. 1924/2006

Die Erwägungsgründe 1 und 9 der Verordnung Nr. 1924/2006 lauten:

„(1)      Zunehmend werden Lebensmittel in der Gemeinschaft mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben gekennzeichnet, und es wird mit diesen Angaben für sie Werbung gemacht. Um dem Verbraucher ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten und ihm die Wahl zu erleichtern, sollten die im Handel befindlichen Produkte, einschließlich der eingeführten Produkte, sicher sein und eine angemessene Kennzeichnung aufweisen. Eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung ist eine Grundvoraussetzung für eine gute Gesundheit, und einzelne Produkte sind im Kontext der gesamten Ernährung von relativer Bedeutung.

(9)      Es gibt eine Vielzahl von Nährstoffen und anderen Substanzen – unter anderem … Mineralstoffe einschließlich Spurenelementen, … und andere – mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung, die in Lebensmitteln vorhanden und Gegenstand entsprechender Angaben sein können. Daher sollten allgemeine Grundsätze für alle Angaben über Lebensmittel festgesetzt werden, um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, dem Verbraucher die notwendigen Informationen für eine sachkundige Entscheidung zu liefern und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Lebensmittelindustrie zu schaffen.“

Art. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)      Mit dieser Verordnung werden die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben harmonisiert, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau zu bieten.

(2)      Diese Verordnung gilt für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die in kommerziellen Mitteilungen bei der Kennzeichnung und Aufmachung von oder bei der Werbung für Lebensmittel gemacht werden, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen.

(5)      Diese Verordnung gilt unbeschadet der folgenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts:

b)      Richtlinie [2009/54]

…“

In Art. 2 Abs. 2 dieser Verordnung heißt es:

„Ferner bezeichnet der Ausdruck

4.      ‚nährwertbezogene Angabe‘ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften besitzt, und zwar aufgrund

b)      der Nährstoffe oder anderen Substanzen, die es

i)      enthält,

ii)      in verminderter oder erhöhter Menge enthält oder

iii)      nicht enthält;

5.      ‚gesundheitsbezogene Angabe‘ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht;

…“

Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Nährwertbezogene Angaben dürfen nur gemacht werden, wenn sie im Anhang aufgeführt sind und den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen entsprechen.“

Art. 13 der Verordnung Nr. 1924/2006 sieht vor:

„(1)      In der in Absatz 3 vorgesehenen Liste genannte gesundheitsbezogene Angaben, die

a)      die Bedeutung eines Nährstoffs oder einer anderen Substanz für Wachstum, Entwicklung und Körperfunktionen

beschreiben oder darauf verweisen, dürfen gemacht werden, ohne den Verfahren der Artikel 15 bis 19 zu unterliegen, wenn sie

i)      sich auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und

ii)      vom durchschnittlichen Verbraucher richtig verstanden werden.

(3)      Nach Anhörung der [Europäischen] Behörde [für Lebensmittelsicherheit (EFSA)] verabschiedet die Kommission … spätestens am 31. Januar 2010 als Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung eine Gemeinschaftsliste zulässiger Angaben gemäß Absatz 1 sowie alle für die Verwendung dieser Angaben notwendigen Bedingungen.

…“

Der Anhang („Nährwertbezogene Angaben und Bedingungen für ihre Verwendung“) dieser Verordnung enthält u. a. folgende Bestimmungen:

„NATRIUMARM/KOCHSALZARM

Die Angabe, ein Lebensmittel sei natrium-/kochsalzarm, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, ist nur zulässig, wenn das Produkt nicht mehr als 0,12 g Natrium oder den gleichwertigen Gehalt an Salz pro 100 g bzw. 100 ml enthält. Bei anderen Wässern als natürlichen Mineralwässern, die in den Geltungsbereich der Richtlinie [2009/54] fallen, darf dieser Wert 2 mg Natrium pro 100 ml nicht übersteigen.

SEHR NATRIUMARM/KOCHSALZARM

Die Angabe, ein Lebensmittel sei sehr natrium-/salzarm, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, ist nur zulässig, wenn das Produkt nicht mehr als 0,04 g Natrium oder den entsprechenden Gehalt an Salz pro 100 g bzw. 100 ml enthält. Für natürliche Mineralwässer und andere Wässer darf diese Angabe nicht verwendet werden.“

Richtlinie 2000/13

In Art. 2 der Richtlinie 2000/13 heißt es:

„(1)      Die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, dürfen nicht

a)      geeignet sein, den Käufer irrezuführen, und zwar insbesondere nicht

i)      über die Eigenschaften des Lebensmittels, namentlich über Art, Identität, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart;

ii)      durch Angabe von Wirkungen oder Eigenschaften, die das Lebensmittel nicht besitzt;

iii)      indem zu verstehen gegeben wird, dass das Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften besitzen;

b)      vorbehaltlich der Gemeinschaftsvorschriften über natürliche Mineralwässer und über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen.

(3)      Die Verbote oder Einschränkungen nach den Absätzen 1 und 2 gelten auch

a)      für die Aufmachung von Lebensmitteln, insbesondere die Form oder das Aussehen dieser Lebensmittel oder ihrer Verpackung, das verwendete Verpackungsmaterial, die Art und Weise ihrer Anordnung sowie die Umgebung, in der sie feilgehalten werden;

b)      für die Werbung.“

 Richtlinie 2009/54

Die Erwägungsgründe 5, 8 und 9 der Richtlinie 2009/54 lauten:

„(5)      Alle Regelungen über natürliche Mineralwässer sollten in erster Linie die Gesundheit der Verbraucher schützen, die Irreführung der Verbraucher verhindern und einen fairen Handel sicherstellen.

(8)      Für die Etikettierung natürlicher Mineralwässer gelten die allgemeinen Regeln der Richtlinie [2000/13]. In der vorliegenden Richtlinie brauchen deshalb lediglich Ergänzungen zu und Abweichungen von diesen allgemeinen Regeln festgelegt zu werden.

(9)      Die Aufnahme der Angaben über die analytische Zusammensetzung eines natürlichen Mineralwassers auf das Etikett sollte verbindlich vorgeschrieben sein, um die Information der Verbraucher zu gewährleisten.“

Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2009/54 bestimmt:

„Für die Etikettierung natürlicher Mineralwässer sind außerdem folgende Angaben verbindlich vorgeschrieben:

a)      Angabe der analytischen Zusammensetzung unter Nennung der charakteristischen Bestandteile“.

Art. 9 der Richtlinie sieht vor:

„(1)      Auf Verpackungen und Etiketten sowie bei jeglicher Art von Werbung ist die Verwendung von Angaben, Bezeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Bildern und anderen bildlichen und nicht bildlichen Zeichen untersagt, die

a)      in Bezug auf ein natürliches Mineralwasser Merkmale vortäuschen, die es insbesondere hinsichtlich der Herkunft, des Datums der Nutzungsgenehmigung, der Analyseergebnisse oder ähnlicher auf die Garantie für Echtheit abgestellter Angaben nicht besitzt;

(2)      Hinweise, wonach ein natürliches Mineralwasser Eigenschaften der Verhütung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit besitzt, sind unzulässig.

Die in Anhang III aufgeführten Angaben sind jedoch zulässig, soweit die darin festgelegten entsprechenden Kriterien oder, in Ermangelung solcher Kriterien, die durch die einzelstaatlichen Vorschriften festgelegten Kriterien beachtet werden und sofern die Angaben auf physikalisch-chemischen Analysen oder erforderlichenfalls pharmakologischen, physiologischen und klinischen Untersuchungen nach wissenschaftlich anerkannten Verfahren nach Anhang I Abschnitt I Nummer 2 beruhen.

Die Mitgliedstaaten können die Angaben ‚regt die Verdauung an‘, ‚kann den Gallenfluss fördern‘ oder ähnliche Angaben zulassen. Sie können weitere Angaben zulassen, sofern diese nicht den Grundsätzen des Unterabsatzes 1 zuwiderlaufen und mit den Grundsätzen des Unterabsatzes 2 vereinbar sind.

…“

Anhang III („In Artikel 9 Absatz 2 vorgesehene Angaben und Kriterien“) der Richtlinie 2009/54 verbindet die Angabe „Geeignet für natriumarme Ernährung“ mit dem Kriterium „Der Natriumgehalt beträgt weniger als 20 mg/l“.

Französisches Recht

Art. R. 112-7 des Verbrauchergesetzbuchs (Code de la consommation), mit dem Art. 2 der Richtlinie 2000/13 umgesetzt werden soll, bestimmt in seinem ersten und seinem letzten Absatz:

„Die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, dürfen nicht geeignet sein, den Käufer oder den Verbraucher insbesondere über die Eigenschaften des Lebensmittels, namentlich über dessen Art, Identität, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung oder Herkunft sowie Herstellungs- oder Gewinnungsart irrezuführen.

Die vorstehend genannten Verbote und Beschränkungen gelten auch für die Werbung und die Aufmachung von Lebensmitteln …“

Die Art. R. 1322-44-13 und R. 1322-44-14 des Gesetzbuchs über die öffentliche Gesundheit (Code de la santé publique) sollen ihrerseits Art. 9 der Richtlinie 2009/54 umsetzen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Neptune Distribution verkauft und vertreibt die kohlesäurehaltigen natürlichen Mineralwässer „Saint-Yorre“ und „Vichy Célestins“.

Mit Entscheidung vom 5. Februar 2009 forderte der Leiter der für das Departement Allier zuständigen Einheit der Regionaldirektion Wettbewerb, Verbraucher und Betrugsbekämpfung der Auvergne Neptune Distribution auf, von den Etiketten dieser Wässer und aus der Werbung dafür folgende Angaben zu entfernen:

–        „Das Natrium von St-Yorre besteht im Wesentlichen aus Natriumbicarbonat. St-Yorre enthält nur 0,53 g Salz (oder Natriumchlorid) pro Liter, d. h. weniger als in einem Liter Milch enthalten ist!!!“;

–        „Salz und Natrium dürfen nicht verwechselt werden – das Natrium von Vichy Célestins besteht im Wesentlichen aus Natriumbicarbonat. Es darf vor allem nicht mit Tafelsalz (Natriumchlorid) verwechselt werden. Vichy Celestins enthält nur 0,39 g Salz pro Liter, d. h. zwei- bis dreimal weniger als in einem Liter Milch enthalten ist!“ sowie allgemein

–        jede Angabe, die den Eindruck entstehen lässt, dass die in Frage stehenden Wässer arm oder sehr arm an Salz oder Natrium seien.

Mit Entscheidung vom 25. August 2009 wies der Minister für Wirtschaft, Industrie und Beschäftigung den Widerspruch von Neptune Distribution gegen diese Aufforderung zurück.

Mit Urteil vom 27. Mai 2010 wies das Tribunal administratif de Clermont-Ferrand (Verwaltungsgericht Clermont-Ferrand) die auf eine Befugnisüberschreitung gestützte Klage von Neptune Distribution auf Nichtigerklärung der besagten Aufforderung und der genannten Entscheidung ab.

Die Berufung von Neptune Distribution gegen jenes Urteil wurde mit Urteil der Cour administrative d’appel de Lyon (Verwaltungsberufungsgericht Lyon) vom 9. Juni 2011 zurückgewiesen.

Dagegen legte Neptune Distribution Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein. Als Grund für dieses Rechtsmittel machte sie u. a. geltend, dass die Cour administrative d’appel de Lyon (Verwaltungsberufungsgericht Lyon) einen Rechtsfehler in Bezug auf Art. R. 112-7 des Verbrauchergesetzbuchs sowie die Art. R. 1322-44-13 und R. 1322-44-14 des Gesetzbuchs über die öffentliche Gesundheit begangen habe.

Das vorlegende Gericht führt aus, die Entscheidung über diesen Rechtsmittelgrund hänge davon ab, ob der Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 als Berechnungsgrundlage für den der Natriummenge in einem Lebensmittel „gleichwertigen Gehalt an Salz“ allein die Menge an Natrium, das in Verbindung mit Chlor-Ionen Natriumchlorid oder Tafelsalz bilde, oder aber die in dem Lebensmittel enthaltene Gesamtmenge an Natrium in allen seinen Formen vorgebe.

Im letztgenannten Fall könnte nämlich ein Wasser, das reich an Natriumbicarbonat sei, nicht als „natriumarm/kochsalzarm“ angesehen werden, auch wenn es arm oder sogar sehr arm an Natriumchlorid sein sollte.

Der Vertreiber eines an Natriumbicarbonat reichen natürlichen Mineralwassers könnte somit auf seinen Etiketten und in seinen Werbebotschaften den niedrigen Salz- oder Natriumchloridgehalt nicht angeben, da eine solche Angabe, selbst wenn sie zutreffe, den Käufer hinsichtlich des Natriumgesamtgehalts des betreffenden Mineralwassers irreführen könne.

In diesem Zusammenhang fügt das vorlegende Gericht hinzu, dass, wie sich namentlich aus der Stellungnahme der EFSA vom 21. April 2005 ergebe, der Anstieg des Blutdrucks die vornehmliche unerwünschte Wirkung sei, die im Zusammenhang mit einer hohen Natriumzufuhr festgestellt werde. Auch wenn Natrium als solches hauptverantwortlich sei, spielten beim Anstieg des Blutdrucks auch die Chlor-Ionen eine Rolle. Mehrere Studien deuteten darauf hin, dass für Personen, die unter Bluthochdruck litten, eine natriumbicarbonatreiche Ernährung nicht die gleiche unerwünschte Wirkung habe wie eine natriumchloridreiche Ernährung. Zwar habe die EFSA es in einer im Juni 2011 veröffentlichten Stellungnahme abgelehnt, in die Liste der zulässigen gesundheitsbezogenen Angaben nach Art. 13 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 die Angabe, Natriumbicarbonat habe keine unerwünschten Wirkungen auf den Blutdruck, aufzunehmen, da die zur Stützung dieser Angabe vorgelegte Studie methodologisch nicht hinreichend abgesichert sei, um daraus endgültige Schlüsse ziehen zu können. Dieser Umstand allein erlaube jedoch auch nicht die Feststellung, dass Natriumbicarbonat in gleichem Maß und Verhältnis wie Natriumchlorid Bluthochdruck verursachen oder verstärken könne.

Es sei daher zweifelhaft, ob der Konsum natriumbicarbonatreicher Wässer und der Konsum natriumchloridreicher Wässer die gleichen Gesundheitsrisiken für die Verbraucher in sich bärgen. Deshalb sei zu prüfen, ob die Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung und der Information in der Werbung sowie der unternehmerischen Freiheit von Neptune Distribution im Hinblick insbesondere auf das Erfordernis, ein hohes Gesundheitsschutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten, erforderlich und verhältnismäßig seien.

Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Besteht die Berechnungsgrundlage für den der Menge des in einem Lebensmittel vorhandenen Natriums „gleichwertigen Gehalt an Salz“ im Sinne des Anhangs der Verordnung Nr. 1924/2006 allein in der Menge an Natrium, das in Verbindung mit Chlor-Ionen Natriumchlorid oder Tafelsalz bildet, oder aber in der Gesamtmenge des in dem Lebensmittel enthaltenen Natriums in allen seinen Formen?

2.     Sollte die zweite Alternative zutreffen: Verstoßen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/13 und Art. 9 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2009/54 im Licht des im Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 festgelegten Gleichwertigkeitsverhältnisses von Natrium und Salz, indem einem Mineralwasservertreiber damit untersagt ist, auf seinen Etiketten und in seinen Werbebotschaften Angaben über den möglicherweise geringen Salzgehalt seines im Übrigen an Natriumbicarbonat reichen Erzeugnisses zu machen, weil diese Angaben den Käufer hinsichtlich des Natriumgesamtgehalts des Wassers irreführen könnten, gegen Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit) und Art. 16 (Unternehmerische Freiheit) der Charta sowie Art. 10 EMRK?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Es ist nämlich Aufgabe des Gerichtshofs, alle Bestimmungen des Unionsrechts auszulegen, die die nationalen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den dem Gerichtshof von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind (Urteil Doc Generici, C‑452/14, EU:C:2015:644, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Auch wenn das vorlegende Gericht seine erste Frage formal gesehen auf die Auslegung des im Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 enthaltenen Begriffs „gleichwertiger Gehalt an Salz“ beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof folglich nicht daran, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil Doc Generici, C‑452/14, EU:C:2015:644, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich das vorlegende Gericht in der Begründung seines Vorabentscheidungsersuchens auch auf die Bestimmungen der Richtlinie 2009/54 bezieht.

Ferner geht aus dieser Begründung hervor, dass das vorlegende Gericht für die Entscheidung über das bei ihm anhängige Rechtsmittel wissen möchte, ob die Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer oder die Werbung für diese den Eindruck eines niedrigen Natrium- oder Salzgehalts dieser Wässer entstehen lassen könnten, indem sie namentlich den Gehalt dieser Wässer an einer einzigen natriumhaltigen chemischen Verbindung, hier Natriumchlorid oder Tafelsalz, angäben, ohne näher auf den Gesamtgehalt an Natrium in allen seinen vorhandenen chemischen Formen einzugehen, soweit dieser Gesamtgehalt die Grenzwerte für die Natriummenge oder den gleichwertigen Salzgehalt überschreiten könnte, die in der Unionsregelung vorgesehen seien, die auf die für die natürlichen Mineralwässer verwendeten Angaben und Hinweise anwendbar sei.

Die erste Frage ist daher so zu verstehen, dass sie im Wesentlichen darauf abzielt, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es Angaben oder Hinweisen auf den Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer oder in der Werbung für diese entgegensteht, die beim Verbraucher den Eindruck erwecken, dass die fraglichen Wässer arm oder sogar sehr arm an Natrium oder Kochsalz oder für eine natriumarme Ernährung geeignet sind, wenn der Gesamtgehalt an Natrium in allen seinen vorhandenen chemischen Formen die in der einschlägigen Unionsregelung vorgesehenen Grenzwerte für die Natriummenge oder den gleichwertigen Gehalt an Salz überschreitet.

Um eine sachdienliche Antwort auf diese Frage zu geben, sind sowohl die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1924/2006 als auch die der Richtlinie 2009/54 zu berücksichtigen.

Nach ihrem Art. 1 Abs. 5 gilt die Verordnung Nr. 1924/2006 unbeschadet der Bestimmungen der Richtlinie 2009/54.

Auch wenn nämlich diese Verordnung die Verwendung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel im Allgemeinen regelt, sieht die genannte Richtlinie für die Angaben, die auf den Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer sowie in der Werbung für diese enthalten sein dürfen, Sonderregeln vor.

Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006 dürfen nährwertbezogene Angaben nur gemacht werden, wenn sie im Anhang dieser Verordnung aufgeführt sind und den in der Verordnung festgelegten Bedingungen entsprechen.

Was die nährwertbezogenen Angaben zum Natrium- oder Salzgehalt betrifft, darf nach diesem Anhang ein Lebensmittel als „natriumarm/kochsalzarm“ oder „sehr natriumarm/kochsalzarm“ gekennzeichnet – oder jegliche Angabe mit voraussichtlich derselben Bedeutung für den Verbraucher verwendet – werden, wenn dieses Lebensmittel im Fall der erstgenannten Angabe nicht mehr als 0,12 g Natrium oder den gleichwertigen Gehalt an Salz pro 100 g bzw. 100 ml oder im Fall der zweitgenannten Angabe nicht mehr als 0,04 g dieser Bestandteile enthält.

Für Wässer gelten insoweit jedoch Sonderregeln.

Insbesondere dürfen als Erstes nach dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 für natürliche Mineralwässer und andere Wässer die Angabe „sehr natriumarm/kochsalzarm“ sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, nicht verwendet werden.

Als Zweites ist nach diesem Anhang die Angabe „natriumarm/kochsalzarm“ ebenso wie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, für andere Wässer als natürliche Mineralwässer, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 2009/54 fallen, zulässig, wenn der fragliche Wert 2 mg Natrium pro 100 ml, d. h. 20 mg/l, nicht übersteigt.

Nach Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2009/54 sind die in Anhang III dieser Richtlinie aufgeführten Angaben zulässig, soweit die darin festgelegten entsprechenden Kriterien oder, in Ermangelung solcher Kriterien, die durch die einzelstaatlichen Vorschriften festgelegten Kriterien beachtet werden und sofern bestimmten technischen Voraussetzungen genügt ist.

Der genannte Anhang enthält eine Angabe „Geeignet für natriumarme Ernährung“, die er mit dem Kriterium „Der Natriumgehalt beträgt weniger als 20 mg/l“ verbindet.

Bei der in der Richtlinie 2009/54 vorgenommenen Festlegung der Natriumhöchstmenge für die Fälle, in denen die Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer oder die Werbung für diese eine Angabe mit Bezug auf einen niedrigen Natriumgehalt enthalten, differenziert der Unionsgesetzgeber nicht danach, zu welcher chemischen Verbindung das Natrium gehört oder aus welcher es hervorgeht.

Was die Ziele sowohl der Verordnung Nr. 1924/2006 als auch der Richtlinie 2009/54 anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung gemäß ihrem Art. 1 das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau bieten soll. In ihren Erwägungsgründen 1 und 9 heißt es hierzu, dass u. a. dem Verbraucher die für eine sachkundige Entscheidung notwendigen Informationen zu liefern sind (Urteil Ehrmann, C‑609/12, EU:C:2014:252, Rn. 40).

Gemäß dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/54 sollten alle Regelungen über natürliche Mineralwässer in erster Linie die Gesundheit der Verbraucher schützen, die Irreführung der Verbraucher verhindern und einen fairen Handel sicherstellen. In diesem Sinne wird im neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie präzisiert, dass die Aufnahme der Angaben über die analytische Zusammensetzung eines natürlichen Mineralwassers auf das Etikett verbindlich vorgeschrieben sein sollte, um die Information der Verbraucher zu gewährleisten (vgl. Urteil Hotel Sava Rogaška, C‑207/14, EU:C:2015:414, Rn. 40).

Somit ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber es mit der Annahme der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1924/2006 und der Richtlinie 2009/54 für erforderlich erachtet hat, eine angemessene und transparente Information der Verbraucher über den Natriumgehalt der für den Gebrauch bestimmten Wässer zu gewährleisten.

Diese Garantien müssen auch mit Blick auf die Bedeutung der Höhe des Natriumkonsums für die menschliche Gesundheit beurteilt werden.

Da aber Natrium in verschiedenen chemischen Verbindungen – nämlich insbesondere in Natriumchlorid oder Tafelsalz und in Natriumbicarbonat – vorkommt, muss seine in den natürlichen Mineralwässern vorhandene Menge mit Blick auf die Bestimmungen der Richtlinie 2009/54 unabhängig von seiner chemischen Form unter Berücksichtigung seines Gesamtvorkommens in den betreffenden natürlichen Mineralwässern beurteilt werden.

Zwar ist nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2009/54 für die Etikettierung natürlicher Mineralwässer die Angabe der analytischen Zusammensetzung unter Nennung der charakteristischen Bestandteile verbindlich vorgeschrieben.

Jedoch ist festzustellen, dass die Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer sowie die Werbung für diese, die unabhängig von der Angabe des Natriumgesamtgehalts dieser Wässer auf dem Etikett gemäß der in der vorstehenden Randnummer genannten Vorschrift eine Angabe mit Bezug auf einen niedrigen Natriumgehalt der Wässer enthalten, ebenfalls geeignet sind, den Verbraucher irrezuführen, da sie den Eindruck entstehen lassen können, dass diese Wässer natriumarm/kochsalzarm oder für eine natriumarme Ernährung geeignet sind, obwohl sie tatsächlich 20 mg/l oder mehr Natrium enthalten (vgl. entsprechend Urteil Teekanne, C‑195/14, EU:C:2015:361, Rn. 38 bis 41).

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage wie folgt zu antworten:

–        Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 ist dahin auszulegen, dass für natürliche Mineralwässer und andere Wässer die Angabe „sehr natriumarm/kochsalzarm“ und jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, nicht verwendet werden darf.

–        Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2009/54 ist dahin auszulegen, dass er Angaben oder Hinweisen auf den Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer oder in der Werbung für diese entgegensteht, die beim Verbraucher den Eindruck entstehen lassen, dass die fraglichen Wässer natriumarm/kochsalzarm oder für eine natriumarme Ernährung geeignet sind, wenn der Gesamtgehalt an Natrium in allen seinen vorhandenen chemischen Formen 20 mg/l beträgt oder überschreitet.

Zur zweiten Frage

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/13 und Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/54 in Verbindung mit Anhang III der letztgenannten Richtlinie sowie mit dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 gültig sind, soweit danach auf Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer sowie in der Werbung für diese Angaben oder Hinweise zum niedrigen Natriumchlorid- oder Tafelsalzgehalt dieser Wässer untersagt sind, die den Verbraucher hinsichtlich des Natriumgesamtgehalts der fraglichen Wässer irreführen könnten.

Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof um Beurteilung der Gültigkeit dieser Bestimmungen im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 und Art. 16 der Charta sowie Art. 10 EMRK.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass, obschon das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage den Gerichtshof ersucht, die Gültigkeit einer Bestimmung der Richtlinie 2000/13 zu beurteilen, diese im Ausgangsverfahren nicht in Rede steht.

Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der Richtlinie 2000/13 sieht nämlich lediglich vor, dass die Etikettierung, die Aufmachung und die Werbung nicht geeignet sein dürfen, den Käufer u. a. über die Eigenschaften des Lebensmittels irrezuführen.

Im Unterschied zu den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1924/2006 und der Richtlinie 2009/54 enthalten die Bestimmungen der Richtlinie 2000/13 damit keine besonderen Anforderungen an die Hersteller und Vertreiber natürlicher Mineralwässer, was die Verwendung von Angaben oder Hinweisen betrifft, die zu verstehen geben können, dass das fragliche Wasser arm oder sehr arm an Natrium oder Kochsalz oder für eine natriumarme Ernährung geeignet ist.

Folglich bedarf es vorliegend nur einer Prüfung der Gültigkeit von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/54 in Verbindung mit Anhang III dieser Richtlinie und dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in Art. 11 der Charta verankert ist, die nach Art. 6 Abs. 1 EUV mit den Verträgen rechtlich gleichrangig ist.

Diese Freiheit wird auch gemäß Art. 10 EMRK geschützt, der, wie sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt, insbesondere auf die Verbreitung von Informationen geschäftlicher Art durch einen Unternehmer, u. a. in Form von Werbebotschaften, anwendbar ist (vgl. EGMR, Urteile Casado Coca/Spanien, 24. Februar 1994, §§ 35 und 36, Series A, Nr. 285-A, und Krone Verlag GmbH & Co. KG/Österreich (Nr. 3), Nr. 39069/97, §§ 19 und 20, ECHR 2003-XII).

Da, wie Art. 52 Abs. 3 der Charta und den Erläuterungen zu Art. 11 der Charta zu entnehmen ist, die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit gemäß Art. 11 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite wie diese durch die EMRK garantierte Freiheit hat, ist festzustellen, dass sich die besagte Freiheit auf die Verwendung von Angaben und Hinweisen zum Natrium- oder Salzgehalt natürlicher Mineralwässer durch einen Unternehmer auf den Verpackungen und Etiketten dieser Wässer sowie in der Werbung dafür erstreckt.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die gemäß Art. 16 der Charta geschützte unternehmerische Freiheit im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Deutsches Weintor, C‑544/10, EU:C:2012:526, Rn. 54).

Das Verbot, auf Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer und in der Werbung für diese Angaben oder Hinweise zu einem niedrigen Natriumgehalt dieser Wässer zu machen, die geeignet sind, den Verbraucher hinsichtlich dieses Gehalts irrezuführen, stellt einen Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit des Unternehmers sowie in seine unternehmerische Freiheit dar.

Auch wenn diese Freiheiten dennoch eingeschränkt werden können, muss jede Einschränkung ihrer Ausübung nach Art. 52 Abs. 1 der Charta gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Freiheiten achten. Außerdem dürfen nach dieser Bestimmung unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und der Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Insoweit ist festzustellen, dass zum einen der in Rn. 67 des vorliegenden Urteils angesprochene Eingriff gesetzlich, nämlich durch Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 und Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2009/54, vorgesehen ist.

Zum anderen beeinträchtigen die genannten Bestimmungen nicht den Wesensgehalt der Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit des Unternehmers, da sie lediglich für die Informationen, die dem Verbraucher in Bezug auf den Natrium- oder Salzgehalt natürlicher Mineralwässer übermittelt werden können, bestimmte Bedingungen aufstellen, wie sie in den Rn. 44 bis 56 des vorliegenden Urteils beschrieben worden sind.

Darüber hinaus ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung weit davon entfernt, die Herstellung und den Vertrieb natürlicher Mineralwässer zu verbieten, sondern beschränkt sich darauf, die Etikettierung und Werbung für solche Getränke innerhalb eines klar abgegrenzten Bereichs zu regeln. Damit beeinträchtigt sie in keiner Weise den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit (vgl. in diesem Sinne Urteil Deutsches Weintor, C‑544/10, EU:C:2012:526, Rn. 57 und 58).

Wie in den Rn. 49 bis 52 des vorliegenden Urteils ausgeführt, sollen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1924/2006 und der Richtlinie 2009/54, namentlich diejenigen, die die Verwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angaben und Hinweise beschränken, ein hohes Verbraucherschutzniveau bieten, eine angemessene und transparente Information des Verbrauchers über den Natriumgehalt der für den Gebrauch bestimmten Wässer gewährleisten, einen fairen Handel sicherstellen und die menschliche Gesundheit schützen.

Wie der Generalanwalt in Nr. 46 seiner Schlussanträge festgestellt hat, stellen das hohe Gesundheitsschutzniveau und das hohe Verbraucherschutzniveau berechtigte Ziele von allgemeinem Interesse dar, die durch das Unionsrecht insbesondere gemäß den Art. 9 AEUV, 12 AEUV, 114 Abs. 3 AEUV, 168 Abs. 1 AEUV und 169 Abs. 1 AEUV sowie den Art. 35 und 38 der Charta umgesetzt werden.

Das Erfordernis, dem Verbraucher möglichst genaue und transparente Informationen über die Eigenschaften des Erzeugnisses zu gewährleisten, bleibt jedoch eng mit dem Schutz der menschlichen Gesundheit verbunden und stellt eine Frage von allgemeinem Interesse dar (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteile Hertel/Schweiz, 25. August 1998, § 47, Reports of Judgments and Decisions 1998-VI, und Bergens Tidende u. a./Norwegen, Nr. 26132/95, § 51, ECHR 2000-IV), die Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie der unternehmerischen Freiheit des Unternehmers rechtfertigen kann.

Unter diesen Umständen ist bei der Beurteilung der Gültigkeit der streitigen Bestimmungen darauf zu achten, dass die Erfordernisse des Schutzes dieser verschiedenen durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechte und berechtigten Ziele von allgemeinem Interesse miteinander in Einklang gebracht werden und dass zwischen ihnen ein angemessenes Gleichgewicht besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil Deutsches Weintor, C‑544/10, EU:C:2012:526, Rn. 47).

Was die gerichtliche Kontrolle der Art und Weise der Umsetzung des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes angeht, ist dem Unionsgesetzgeber in einem Bereich wie dem hier betroffenen, der von ihm politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt und in dem er komplexe Beurteilungen vornehmen muss, ein weites Ermessen einzuräumen (vgl. in diesem Sinne Urteile British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, C‑491/01, EU:C:2002:741, Rn. 123, sowie Alliance for Natural Health u. a., C‑154/04 und C‑155/04, EU:C:2005:449, Rn. 52).

Insoweit ist erstens festzustellen, dass sich eine Angabe oder ein Hinweis zum Gehalt natürlicher Mineralwässer an Natrium, das eine Verbindung mit Chlor-Ionen eingegangen ist, selbst wenn man unterstellt, dass die Angabe oder der Hinweis an sich sachlich richtig ist, gleichwohl als unvollständig erweist, wenn damit der Eindruck erweckt wird, dass die Wässer natriumarm sind, während ihr Natriumgesamtgehalt tatsächlich die in der Unionsregelung vorgesehenen Grenzwerte übersteigt (vgl. in diesem Sinne Urteil Deutsches Weintor, C‑544/10, EU:C:2012:526, Rn. 51).

Unter solchen Umständen kann die auf den Verpackungen und Etiketten sowie in der Werbung gegebene Information, die besagte Angabe oder besagten Hinweis enthält, den Verbraucher über den Natriumgehalt der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Mineralwässer irreführen.

Zweitens ist das Vorbringen von Neptune Distribution unbeachtlich, dass die geprüften Bestimmungen über das hinausgingen, was zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher erforderlich sei, da sie unterschiedslos auf Natrium in allen seinen chemischen Formen, einschließlich in Form von Natriumbicarbonat, anwendbar seien, obwohl dieses Molekül für die menschliche Gesundheit unschädlich sei, da nur Natriumchlorid arteriellen Bluthochdruck herbeiführe.

Ohne dass darauf eingegangen zu werden braucht, ob die Schädlichkeit eines übermäßigen Konsums von Natrium, das eine Verbindung mit Chlor-Ionen eingegangen ist, in Bezug auf das Risiko der Entstehung arteriellen Bluthochdrucks mit dem Risiko zu vergleichen ist, das mit dem Konsum von Natrium in einer anderen chemischen Verbindung, insbesondere Natriumbicarbonat, einhergeht, ist nämlich festzustellen, dass dieses Risiko vom Unionsgesetzgeber im Hinblick auf das Erfordernis des Schutzes der menschlichen Gesundheit einerseits und den Vorsorgegrundsatz in diesem Bereich andererseits bestimmt wird.

Wie der Generalanwalt in Nr. 49 seiner Schlussanträge festgestellt hat, muss der Unionsgesetzgeber das Vorsorgeprinzip berücksichtigen, nach dem bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden (vgl. Urteil Acino/Kommission, C‑269/13 P, EU:C:2014:255, Rn. 57).

Wenn es sich als unmöglich erweist, das Vorliegen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unschlüssig sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die Gesundheit der Bevölkerung jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen (vgl. in diesem Sinne Urteil Acino/Kommission, C‑269/13 P, EU:C:2014:255, Rn. 58).

Angesichts der dem Gerichtshof vorliegenden Akten und insbesondere der in Rn. 30 des vorliegenden Urteils genannten Stellungnahme der EFSA vom 21. April 2005, auf die in der Vorlageentscheidung Bezug genommen wird, ist jedoch nicht ersichtlich, dass ein Risiko für die menschliche Gesundheit durch einen übermäßigen Konsum von Natrium, das in verschiedenen chemischen Verbindungen, insbesondere in Natriumbicarbonat, vorhanden ist, ausgeschlossen wäre.

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber zu Recht annehmen konnte, dass Vorgaben und Einschränkungen, wie sie in den Bestimmungen, um die es in der ersten Frage geht, vorgesehen sind, hinsichtlich der Verwendung von Angaben oder Hinweisen zum niedrigen Natriumgehalt natürlicher Mineralwässer angemessen und erforderlich waren, um den Schutz der menschlichen Gesundheit in der Union sicherzustellen.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der Schluss zu ziehen, dass der Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie in die unternehmerische Freiheit des Unternehmers im vorliegenden Fall in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht.

Nach alledem ist festzustellen, dass die Prüfung der zweiten Frage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/54 in Verbindung mit Anhang III dieser Richtlinie und dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 beeinträchtigen kann.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit dem Anhang der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung (EG) Nr. 107/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass für natürliche Mineralwässer und andere Wässer die Angabe „sehr natriumarm/kochsalzarm“ und jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, nicht verwendet werden darf.

Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2009/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern ist dahin auszulegen, dass er Angaben oder Hinweisen auf den Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer oder in der Werbung für diese entgegensteht, die beim Verbraucher den Eindruck entstehen lassen, dass die fraglichen Wässer natriumarm/kochsalzarm oder für eine natriumarme Ernährung geeignet sind, wenn der Gesamtgehalt an Natrium in allen seinen vorhandenen chemischen Formen 20 mg/l beträgt oder überschreitet.

2.      Die Prüfung der zweiten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/54 in Verbindung mit Anhang III dieser Richtlinie und dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 beeinträchtigen kann.