BGH, Beschluss vom 24.03.2016, Az. I ZR 243/14
Art. 28 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 834/2007
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Bundesgerichtshof
Beschluss
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2015 durch … beschlossen:
I.
Das Verfahren wird ausgesetzt.
II.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des Art. 28 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 (ABl. Nr. L 189 vom 20. Juli 2007, S. 1) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Liegt ein im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 „direkter“ Verkauf an Endverbraucher bereits vor, wenn der Unternehmer oder sein Verkaufspersonal dem Endverbraucher die Erzeugnisse ohne Zwischenschaltung eines Dritten verkauft, oder setzt ein „direkter“ Verkauf darüber hinaus voraus, dass der Verkauf am Ort der Lagerung der Erzeugnisse unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Endverbrauchers erfolgt?
Gründe
A.
Die Beklagte betreibt einen Internetversandhandel für Kamin- und Grillbedarf. Zu ihrem Sortiment gehören verschiedene Gewürzmischungen, die sie im Dezember 2012 unter der Bezeichnung „Bio-Gewürze“ zum Verkauf anbot. Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte nicht dem Kontrollsystem gemäß Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen (nachfolgend: Verordnung Nr. 834/2007) unterstellt. Mit einem als „Abmahnung“ bezeichneten Schreiben vom 28. Dezember 2012 beanstandete die klagende Wettbewerbszentrale dieses Angebot als Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 834/2007. Sie forderte die Beklagte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Die Beklagte kam dieser Aufforderung nach.
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin die Erstattung eines Teils der ihr durch die Abmahnung entstandenen Aufwendungen in Höhe von 219,35 € nebst Zinsen geltend.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben (OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2015, 308 = WRP 2015, 115). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
B.
Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin könne gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG den Ersatz der für die Abmahnung erforderlichen Aufwendungen ersetzt verlangen, weil die Abmahnung berechtigt gewesen sei. Der mit der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei gemäß § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG begründet gewesen. Die Beklagte habe durch das Anbieten ihrer „Bio-Gewürze“ gegen Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 verstoßen, weil ihr Unternehmen nicht wie erforderlich dem Kontrollsystem dieser Verordnung unterstellt gewesen sei. Bei dieser Vorschrift handele es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Der Verstoß gegen diese Regelung habe die Verbraucherinteressen im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG spürbar beeinträchtigt.
II.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob die Beklagte die von ihr angebotenen „Bio-Gewürze“ als Internetversandhändlerin im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 „direkt“ an Endverbraucher verkauft hat.
1.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten setzt nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG voraus, dass der mit der Abmahnung erhobene Unterlassungsanspruch zum Zeitpunkt der Abmahnung bestanden hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 I ZR 119/13, GRUR 2015, 393 Rn. 13 = WRP 2015, 450 Der neue SLK, mwN). Für die Beurteilung des Rechtsstreits sind daher die Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in ihrer zum Zeitpunkt der Abmahnung am 28. Dezember 2012 geltenden Fassung (UWG aF) und nicht in ihrer ab dem 10. Dezember 2015 geltenden Fassung durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (BGBl. I, S. 2158) maßgeblich.
2.
Ein Verstoß gegen die Verpflichtung gemäß Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 stellt eine nach § 4 Nr. 11 UWG aF unlautere und nach § 3 Abs. 1 UWG aF unzulässige geschäftliche Handlung dar.
a)
Nach Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 ist jeder Unternehmer, der Erzeugnisse im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 erzeugt, aufbereitet, lagert, aus einem Drittland einführt oder in Verkehr bringt, verpflichtet, vor einem Inverkehrbringen von jeglichen Erzeugnissen als ökologisch/biologische Erzeugnisse oder als Umstellungserzeugnisse sein Unternehmen dem Kontrollsystem nach Art. 27 der Verordnung Nr. 834/2007 zu unterstellen.
b)
Die Vorschrift des Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG aF. Sie ist auch dazu bestimmt, das Marktverhalten der Unternehmer im Interesse der Verbraucher zu regeln. Die Verpflichtung zur Unterstellung unter ein Kontrollsystem dient der Kontrolle der Einhaltung der durch die Verordnung geschaffenen Verpflichtungen (vgl. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 834/2007). Diese Verpflichtungen sollen unter anderem gewährleisten, dass die von der Verordnung erfassten ökologischen/biologischen Erzeugnisse der menschlichen Gesundheit nicht abträglich sind (vgl. Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 834/2007). Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 dient damit auch dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher.
c)
Ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG aF spürbar zu beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG aF spürbar zu beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 – I ZR 123/13, GRUR 2015, 916 Rn. 16 = WRP 2015, 1095 – Abgabe ohne Rezept, mwN). Bei Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 handelt es sich um eine solche Marktverhaltensregelung.
d)
Der Verfolgung eines Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 als unlautere geschäftliche Handlung steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken die Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vollständig harmonisiert (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG). Die Richtlinie lässt nach ihrem Art. 3 Abs. 3 die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 ist eine solche Rechtsvorschrift.
3.
Die Beklagte hat die in Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 geregelte Pflicht, ihr Unternehmen einem Kontrollsystem nach Art. 27 der Verordnung zu unterstellen, nicht erfüllt.
a)
Die Beklagte war nach Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007 verpflichtet, sich einem Kontrollsystem nach Art. 27 der Verordnung zu unterstellen.
aa)
Die Beklagte ist für die Einhaltung der Vorschriften der Verordnung in ihrem Betrieb verantwortlich und damit gemäß Art. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 834/2007 Unternehmer im Sinne der Verordnung.
bb)
Die Beklagte hat dadurch, dass sie im Dezember 2012 Gewürze zum Verkauf angeboten hat, Erzeugnisse im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 in Verkehr gebracht.
(1)
Zu den Erzeugnissen im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 zählen gemäß Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b dieser Verordnung verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel – also zur Aufnahme durch Menschen (Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 834/2007 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit) – bestimmt sind. Bei den von der Beklagten angebotenen Gewürzen handelt es sich um solche Erzeugnisse. Sie sind dazu bestimmt, nach dem Zusetzen zu einer Mahlzeit von Menschen aufgenommen zu werden.
(2)
Für ein Inverkehrbringen reicht das Bereithalten von Lebensmitteln für Verkaufszwecke einschließlich des Anbietens zum Verkauf aus (Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 834/2007 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002). Die Beklagte hat die Gewürze danach dadurch in Verkehr gebracht, dass sie diese im Dezember 2012 zum Verkauf angeboten hat.
cc)
Die Beklagte hat die Gewürze als ökologische/biologische Erzeugnisse angeboten. Sie hat die Gewürze durch die Verwendung der Bezeichnung „Bio-“ als Erzeugnisse gekennzeichnet, die aus ökologischer/biologischer Produktion stammen (vgl. Art. 2 Buchst. c, Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 834/2007).
b)
Die Beklagte hatte ihr Unternehmen zum Zeitpunkt des im Streitfall maßgeblichen Verkaufsangebots im Dezember 2012 nicht dem Kontrollsystem nach Art. 27 der Verordnung Nr. 834/2007 unterstellt. Die Einhaltung der Verpflichtungen gemäß der Verordnung (Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 834/2007) wurde im Unternehmen der Beklagten erst am 24. Januar 2013 kontrolliert. Die Kontrollstelle hat ihre Bescheinigung (Art. 29 Abs. 1 der Verordnung Nr. 834/2007) mit Wirkung vom 28. Februar 2013 ausgestellt.
4.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es darauf an, ob die Beklagte gemäß § 3 Abs. 2 ÖLG von dem Einhalten der Pflichten nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 834/2007 freigestellt war, weil sie die „Bio-Gewürze“ im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 „direkt“ an Endverbraucher verkauft hat.
a)
Gemäß § 3 Abs. 2 ÖLG sind Unternehmer, die Erzeugnisse im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 als ökologische/biologische Erzeugnisse oder Umstellungserzeugnisse direkt an den Endverbraucher oder -nutzer abgeben, vom Einhalten der Pflichten nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 834/2007 freigestellt, soweit sie diese Erzeugnisse nicht selbst erzeugen oder erzeugen lassen, aufbereiten oder aufbereiten lassen, an einem anderen Ort als einem Ort in Verbindung mit der Verkaufsstelle lagern oder lagern lassen oder aus einem Drittland einführen oder einführen lassen.
b)
Eine Anwendung dieses Befreiungstatbestands scheidet nicht schon deshalb aus, weil die Beklagte die von ihr angebotenen Erzeugnisse selbst erzeugt oder erzeugen lässt, aufbereitet oder aufbereiten lässt, an einem anderen Ort als einem Ort in Verbindung mit der Verkaufsstelle lagert oder lagern lässt oder aus einem Drittland einführt oder einführen lässt. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es daher darauf an, ob die Beklagte ihre Erzeugnisse im Sinne des § 3 Abs. 2 ÖLG „direkt“ an Endverbraucher abgegeben hat. Ist dies der Fall, musste sie ihr Unternehmen nicht dem Kontrollsystem unterstellen.
c)
§ 3 Abs. 2 ÖLG beruht auf Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 und ist daher in Übereinstimmung mit dieser Regelung auszulegen. Gemäß Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 können die Mitgliedstaaten Unternehmer, die Erzeugnisse direkt an Endverbraucher oder -nutzer verkaufen, von der Anwendung des Artikels 28 dieser Verordnung befreien, sofern die Unternehmer die Erzeugnisse nicht selbst erzeugen, aufbereiten oder an einem anderen Ort als in Verbindung mit der Verkaufsstelle lagern oder solche Erzeugnisse nicht aus einem Drittland einführen oder solche Tätigkeit auch nicht von Dritten ausüben lassen. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher davon ab, ob die Beklagte ihre Erzeugnisse im Sinne des Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 „direkt“ an Endverbraucher verkauft hat. Es ist ungeklärt, was unter einem „direkten“ Verkauf an den Endverbraucher zu verstehen ist.
aa)
Das Berufungsgericht hat angenommen, ein „direkter“ Verkauf liege nur vor, wenn der Verkauf am Ort der Lagerung des Erzeugnisses unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Verbrauchers erfolge. Nach dieser Auslegung fiele der von der Beklagten betriebene Online-Handel ebenso wie andere Formen des Versandhandels mit ökologischen/biologischen Erzeugnissen nicht unter den Befreiungstatbestand des Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007.
bb)
Allein anhand des Wortlauts des Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 lässt sich die Frage nicht beantworten. Der Wortlaut dieser Bestimmung lässt zwar die Auslegung des Berufungsgerichts zu. Er kann aber auch dahin verstanden werden, dass ein „direkter“ Verkauf bereits vorliegt, wenn – wie im Streitfall – in den Verkauf durch den Unternehmer an den Endverbraucher kein Dritter wie etwa ein Zwischenhändler eingeschaltet ist.
cc)
Aus dem Zweck des Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/ 2007 ergeben sich nach Ansicht des Senats keine eindeutigen Hinweise für die Auslegung.
(1)
Die Regelung des Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/ 2007 beruht nach Erwägungsgrund 32 dieser Verordnung auf folgender Erwägung:
In einigen Fällen könnte es als unverhältnismäßig erscheinen, die Melde- und Kontrollvorschriften auf bestimmte Arten von Einzelhandelsunternehmern wie etwa auf solche anzuwenden, die Erzeugnisse direkt an Endverbraucher oder -nutzer verkaufen. Es ist daher angebracht, den Mitgliedstaaten zu erlauben, solche Unternehmer von diesen Anforderungen auszunehmen. Um jedoch Betrug zu verhindern, sollte die Ausnahmeregelung nicht für diejenigen Einzelhandelsunternehmer gelten, die ökologische/biologische Erzeugnisse erzeugen, aufbereiten oder an einem anderen Ort als der Verkaufsstelle lagern, aus einem Drittland einführen oder die vorgenannten Tätigkeiten an Dritte vergeben haben.
(2)
Das Berufungsgericht hat diesem Erwägungsgrund zutreffend entnommen, dass der Zweck der Regelung darin besteht, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Ausnahmen von den Melde- und Kontrollpflichten zuzulassen. Es hat angenommen, diese Pflichten seien unter Berücksichtigung des damit bezweckten Verbraucherschutzes unverhältnismäßig, wenn der Verbraucher selbst erkennen könne, ob die Erzeugnisse im Einklang mit den Anforderungen der Verordnung behandelt würden, die für alle Stufen der ökologischen/biologischen Produktion, der Aufbereitung und des Vertriebs vorgeschrieben seien.
Diese Voraussetzung sei hinsichtlich der Abwicklung des Erwerbsvorgangs nur bei Unternehmen erfüllt, bei denen der Verbraucher den Abgabevorgang persönlich überschauen und kontrollieren könne. Unter einem „direkten“ Verkauf im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 sei daher ein Verkauf am Ort der Lagerung unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Verbrauchers zu verstehen.
(3)
Die Revision macht geltend, der Verordnungsgeber habe den Verbraucher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nur gegen das Risiko einer Veränderung der von der Verordnung erfassten Produkte vor dem Verkauf an den Endverbraucher, nicht aber gegen etwaige Risiken bei der Durchführung des Verkaufs und insbesondere beim Transport der verkauften Ware vom Einzelhandelsunternehmen zum Verbraucher schützen wollen. Dem kann nach Auffassung des Senats nicht zugestimmt werden. Die Tätigkeiten der Unternehmer sollen auf allen Stufen der Produktion, der Aufbereitung und des Vertriebs ökologischer/biologischer Erzeugnisse dem Kontrollsystem des Art. 27 der Verordnung Nr. 834/2007 unterliegen, um sicherzustellen, dass die ökologischen/biologischen Erzeugnisse im Einklang mit den Anforderungen erzeugt werden, die der gemeinschaftsrechtliche Rahmen für die ökologische/biologische Produktion vorschreibt (Erwägungsgrund 31 der Verordnung Nr. 834/2007). Zu den „Stufen der Produktion, der Aufbereitung und des Vertriebs“ zählt auch die Beförderung des ökologischen/biologischen Erzeugnisses (Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 834/2007).
(4)
Für die Beurteilung des Berufungsgerichts könnte angeführt werden, dass die Besonderheiten des Fernabsatzes möglicherweise ein besonderes Bedürfnis an der Unterstellung unter ein Kontrollsystem begründen, das für jedes Erzeugnis die Rückverfolgbarkeit auf allen Stufen der Produktion, der Aufbereitung und des Vertriebs erlaubt, um insbesondere den Verbrauchern die Gewähr dafür zu bieten, dass die ökologischen/biologischen Erzeugnisse in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Verordnung hergestellt worden sind (Art. 27 Abs. 13 der Verordnung Nr. 834/2007).
(5)
Gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts könnte sprechen, dass nicht ersichtlich ist, dass der Verbraucher bei einem Verkauf am Ort der Lagerung unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals feststellen kann, ob die als ökologische/biologische Erzeugnisse angebotenen Erzeugnisse im Einklang mit den Anforderungen erzeugt worden sind, die der unionsrechtliche Rahmen für die ökologische/biologische Produktion vorschreibt (Erwägungsgrund 31). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Unternehmer, die selbst erzeugte Erzeugnisse direkt an Endverbraucher verkaufen, keiner Kontrolle durch den Verbraucher bedürfen, da sie von dem Kontrollsystem nach Art. 27 der Verordnung Nr. 834/2007 nicht gemäß Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 834/2007 freigestellt werden können. Es ist nicht zu erkennen, dass der Verbraucher, der von einem Unternehmer Erzeugnisse erwirbt, die dieser nicht selbst erzeugt hat, bei einem Verkauf am Ort der Lagerung unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals kontrollieren kann, ob diese Erzeugnisse im Einklang mit den Anforderungen der Verordnung erzeugt worden sind. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass der Verbraucher bei einem Erwerb der Erzeugnisse im stationären Einzelhandel insoweit bessere Kontrollmöglichkeiten hat als bei einem Erwerb über den Versandhandel.
(6)
Möglicherweise besteht der Sinn des Wortes „direkt“ daher allein darin, den unmittelbaren Verkauf an Endverbraucher vom mittelbaren Verkauf an Endverbraucher unter Zwischenschaltung eines Dritten abzugrenzen. Danach läge insbesondere beim Verkauf eines Erzeugnisses an einen Einzelhändler (vgl. Art. 3 Nr. 2 der Verordnung [EG] Nr. 178/2002), der dieses Erzeugnis an den Endverbraucher (vgl. Art. 3 Nr. 18 der Verordnung [EG] Nr. 178/2002) weiterverkauft, kein „direkter“ Verkauf an den Endverbraucher vor. Dagegen wäre beim unmittelbaren Verkauf eines Erzeugnisses durch den Versandhändler an den Endverbraucher grundsätzlich ein „direkter“ Verkauf an Endverbraucher gegeben.
Vorinstanzen:
LG Fulda, Entscheidung vom 23.09.2013, Az. 2 O 161/13
OLG Frankfurt in Kassel, Entscheidung vom 30.09.2014, Az. 14 U 201/13