LG Hamburg, Urteil vom 24.01.2018, Az. 416 HKO 196/17
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, § 5 Abs. 1 S. 1 UWG
Die Entscheidung des LG Hamburg finden Sie unten im Volltext und hier von uns zusammengefasst (LG Hamburg – Keine Irreführung durch Rechtsansichten).
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Landgericht Hamburg
Urteil
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
4.
Der Streitwert wird auf EUR 30.000 festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin, eine Verbraucherzentrale, verlangt von der Beklagten, einer Privatbank, es zu unterlassen, gegenüber Verbrauchern, mit denen ein CHD-Vorsorgesparplan abgeschlossen wurde, zu behaupten, dieser könne außerordentlich wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gekündigt werden, weil die CHD-Vorsorgesparpläne nicht in eine neue IT-Landschaft übernommen werden könnten.
Die Beklagte hat viele Jahre sog. Riester-Verträge, genauer CHD-Vorsorgesparpläne, die staatlich gefördert werden, vertrieben. Im September 2016 bot sie insgesamt 16 Anlegern einen kostenneutralen Anbieterwechsel zur Konzernmutter der Beklagten, der S. I. AG, oder zu einem Anbieter nach Wahl des Kunden an. Im April 2017 kündigte die Beklagte den CHD-Vorsorgesparplan eines Anlegers, der auf das im Vorfeld gemachte Wechselangebot der Beklagten nicht reagiert hatte, wobei sie als Grund für die außerordentliche Kündigung den Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB anführte (K 3). Die Rechtfertigung dieser außerordentlichen Kündigung mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, die wiederum durch die nicht mögliche Übernahme der CHD-Vorsorgepläne in eine neue IT-Landschaft begründet war, mahnte die Klägerin mit Schreiben vom 19.10.2017 (K 4) im Ergebnis erfolglos (K 5) ab.
Die Klägerin meint, die vermeintliche Rechtsgrundlage einer Kündigungsmöglichkeit sei eine unrichtige Angabe und stelle eine irreführende geschäftliche Handlung dar. Die Verbraucher würden durch die Behauptung, der Vorsorgeplan könne außerordentlich wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB gekündigt werden, über die ihnen zustehenden Rechte getäuscht.
Die Klägerin beantragt,
der Beklagten bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel
zu untersagen,
gegenüber Verbrauchern, mit denen ein CHD-Vorsorgeplan abgeschlossen ist, zu behaupten, dieser könne außerordentlich wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gekündigt werden, weil die CHD-Vorsorgesparpläne nicht in eine neue IT-Landschaft übernommen werden könnten, wie geschehen mit Schreiben „April 2017“ gemäß Anlage K 3.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich darauf, dass es ihrem IT-Dienstleister durch eine Fusion mit einem anderen IT-Dienstleister im Jahr 2015 und damit mittelbar ihr selber nicht mehr möglich sei, die CHD-Vorsorgepläne in ihre IT-Landschaft zu integrieren. Die Verträge könnten nicht aus der IT-Landschaft des IT-Dienstleisters herausgetrennt werden und eine Auslagerung der Kontoverwaltung an einen Drittanbieter würde bei einer Vertragslaufzeit von 35 Jahren EUR 3,777 Mio. kosten, während sich das Gesamtvolumen der 16 gekündigten Verträge auf EUR 30.000 belaufe. Die Kündigung ziele nicht darauf ab, die Kunden von der Geltendmachung ihrer Rechte abzuhalten.
Die Beklagte meint, der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung sei keine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Nr. 1 UWG, da kein objektiver Zurechnungszusammenhang zwischen dem angegriffenen Verhalten und der Durchführung des Vertrages bestehe. Auch habe sie die Verbraucher nicht getäuscht, da der Kündigung eine subjektive Rechtsmeinung zugrunde liege. Sie habe keine Rechtsauskunft gegeben, sondern ein Gestaltungsrecht ausgeübt. Auch seien die §§ 313, 314 BGB nicht dazu bestimmt im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt und die Aufmachung der von den Parteien eingereichten Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Das Landgericht Hamburg ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO örtlich und gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.
Die Klägerin ist als qualifizierte Einrichtung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, §§ 3, 4 UKlaG auch klagebefugt.
II.
Der Klägerin steht der gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung jedoch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1.
Die seitens der Beklagten auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gestützte außerordentliche Kündigung beinhaltet zunächst keine Irreführung nach § 5 Abs. 1 Satz1, 2 Nr. 1 UWG.
Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der außerordentlichen Kündigung des CHD-Vorsorgeplans unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage überhaupt um eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG gehandelt hat.
Die Beklagte hat nämlich keine unwahren oder sonstige zur Täuschung geeigneten Angaben über die Ausführung bzw. die Erbringung der Dienstleistung gemacht.
Angaben i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG sind Aussagen eines Unternehmens, die sich auf Tatsachen beziehen und daher inhaltlich nachprüfbar sind, wobei auch Werturteile irre-führende Angaben enthalten können, wenn sie erkennbar auf Tatsachen beruhen, Richtigkeit oder Unrichtigkeit also objektiv nachprüfbar sind (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Auflage, 2018, § 5 Rn. 1.21).
Die Begründung der außerordentlichen Kündigung des Vorsorgesparplans mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), welche hier von der Klägerin beanstandet wird, bein-haltet jedoch keine Tatsache sondern eine Rechtsansicht, nämlich die Meinung – ausgehend von zutreffendem Tatsachenvortrag (vgl. hierzu noch im Folgenden) – ein Gestaltungsrecht berechtigt und im Ergebnis durchgreifend ausüben zu können.
Eine solche Auffassung ist weder inhaltlich objektiv nachprüfbar noch dem Beweis zugänglich. Vielmehr ist es für eine Rechtsauffassung meist charakteristisch, dass sie strittig und gegenteiligen Meinungen ausgesetzt ist. Nicht zuletzt deswegen bedarf es der Institution der Judikative.
Aus der vorgelegten E-Mail-Korrespondenz der Beklagten mit ihrem IT-Dienstleister ergibt sich, dass die Vorsorgesparpläne nicht in das IT-System des IT-Dienstleisters der Beklagten zu integrieren sind. Gegenteiliges hat die Klägerin nicht vorgetragen. Gleiches gilt in Bezug auf den Vortrag der Beklagten, die Auslagerung der Vorsorgesparpläne auf einen Drittanbieter gehe mit ganz erheblichen, im Ergebnis nicht mehr zu vertretenden Kosten einher.
Auch der Bundesgerichtshof hat in der von der Klägerin zitierten Entscheidung (GRUR 2017, 1144 ff. – Reisewerte) eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 UWG nicht schon beim bloßen Äußern einer Rechtsansicht angenommen. Vielmehr hat er die Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung nur deshalb angenommen, weil die dortige Beklagte unrichtige Angaben zur Verjährung der Ansprüche der Kundin aus erworbenen Reisewerten und damit über wesentliche Merkmale der Dienstleistung i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 UWG gemacht hatte (a.a.O. Rn. 19 ff.). Das ist mit der vorliegenden Konstellation jedoch nicht vergleichbar. Die Dienstleistung ist hier das Beibehalten bzw. das Zurverfügungstellen einer eigenen IT-Verwaltung in Bezug auf den vom Kunden geschlossenen Vorsorgesparplan. Dass die Beklagte diesbezüglich falsche Angaben gemacht hat, ist – wie bereits ausgeführt – von der Klägerin nicht dargelegt worden. Die Begründung der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage beinhaltet lediglich eine Rechtfertigung der ausgeübten Maßnahme und stellt sich damit im Ergebnis als reine Rechtsansicht dar. Fehlerhafte Angaben über die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung enthält sie ersichtlich nicht. Demgemäß gelingt es der Klägerin auch nicht, das von ihr beanstandete Verhalten unter § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 UWG zu subsumieren.
2.
Die seitens der Beklagten auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gestützte außerordentliche Kündigung beinhaltet auch keine Irreführung nach § 5 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 7 UWG.
Die Beklagte hat nämlich auch keine unwahren oder sonstige zur Täuschung geeigneten Angaben über die Rechte des Verbrauchers gemacht. Sie hat lediglich ihre Maßnahme – die außerordentliche Kündigung – begründet. Darin kann noch keine Täuschung über die Rechte des Verbrauchers gesehen werden, denn es bleibt dem Verbraucher ja unbenommen, gegen die Kündigung vorzugehen, und die Beklagte hat ihrem Vertragspartner auch nicht etwa suggeriert, er könne sich nicht gegen die außerordentliche Kündigung wehren, dies sei völlig sinnlos. Dementsprechend vermag die Klägerin auch nicht zu begründen, über welches Recht genau die Beklagte denn getäuscht haben soll. Soweit die Klägerin auf Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O, Rn. 1.21 verweist, „unterschlägt“ sie, dass es dort ausdrücklich heißt, dass es einem Unternehmen nicht verwehrt werden kann, im Rahmen der Rechtsdurchsetzung eine bestimmte Rechtsansicht zu vertreten.
Würde die bloße Äußerung einer rechtlich nicht unumstrittenen Auffassung stets zur Täuschung des Verbrauchers über seine Rechte geeignet sein, wäre es Unternehmen kaum mehr möglich, ihre Rechte gegenüber Verbrauchern wahrzunehmen, ohne sich zugleich unlauter zu verhalten, denn die Ausübung eines Rechts wird sinnvollerweise regelmäßig von einer Begründung, welche auf einer Rechtsmeinung beruht, flankiert. Die reine Kundgabe einer Rechtsmeinung enthält jedoch keine Aussage über das Bestehen und den Inhalt von Rechten des Verbrauchers oder die Voraussetzungen ihrer Ausübung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der „UPC“-Entscheidung des EuGH (GRUR 2015, 600 ff. – Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság/UPC Magyarország Kft.). Nach dem dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt informierte der Gewerbetreibende den Verbraucher falsch über die Dauer der Vertragsbeziehung zwischen den beiden Parteien (EuGH a.a.O. Rn. 40). Die Dauer einer Vertragsbeziehung ist jedoch eine objektiv nachprüfbare Tatsache, die anders als eine Rechtsmeinung, die zur Begründung eines Gestaltungsrechts unter richtigem Tatsachenvortrag, hier das Vorbringen zur geänderten IT-‘Landschaft‘, geäußert wird, keinerlei wertendes Element enthält. Neben die bloße Äußerung einer Rechtsauffassung ist hier m.a.W. kein weiterer Umstand getreten, der die unternehmerische Sorgfalt der Beklagten vermissen lässt und geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen, vgl. § 3 Abs. 2 UWG.
3.
Sonstige Irreführungsgesichtspunkte sind nicht ernsthaft ersichtlich. Demgemäß hat der Klägervertreter auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung auch lediglich nebulös geäußert, Europäischer Gerichtshof und Bundesgerichtshof hätten in vergleichbaren Fällen eine Irreführung angenommen, aber nicht darlegen können, nach welcher Norm genau denn hier eine Irreführung gegeben sein soll. Der Schutzzweck des § 3 a UWG, namentlich der Verbraucherschutz, ist hier nicht einschlägig. Als gesetzliche Vorschriften im Sinne des § 3 a UWG kommen hier lediglich die §§ 313, 314 BGB in Betracht, die jedoch keinen verbraucherschützenden Regelungszweck oder zumindest eine sekundäre Schutzfunktion zugunsten des Wettbewerbs entfalten.
Demgemäß bedarf es – anders als die Klägerin sich dies wohl vorstellt – auch keiner Entscheidung darüber, ob die auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gestützte außerordentliche Kündigung durchgreift.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.