BGH: Unterlassungsurteil ist aufzuheben, wenn es im Tenor gegenüber dem Unterlassungsantrag ein Merkmal unberücksichtigt lässt

veröffentlicht am 11. Dezember 2015

BGH, Urteil vom 18.06.2015, Az. I ZR 26/14
§ 308 Abs. 1 ZPO, § 3 UWG, § 4 Nr. 11 UWG, § 11 Abs. 1 S.1 Fall 3 ApoG, § 39 Abs. 1 S.4 bis 6 SGB V 

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Bundesgerichtshof

Urteil

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18.06.2015 durch … für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg 3. Zivilsenat vom 27.12.2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Der Kläger und der Beklagte sind Apotheker; sie betreiben in R. jeweils eine Apotheke.

Der Beklagte gab am 25. Oktober und am 22. November 2012 jeweils die drei verschreibungspflichtigen Medikamente „Incivo 375 mg Filmtabletten“, „Copegus 200 mg Filmtabletten/Ribarin 200 mg Filmtabletten“ und „Pegasys 180 IG Fertogüem 4 Stück Fertigspritzen“ für in der Arztpraxis Dres. W. und B. in R. behandelte Hepatitis-C-Patienten ab. In beiden Fällen wurde das in der Arztpraxis ausgestellte Rezept nicht den Patienten ausgehändigt, sondern wurden Rezept und Medikamente direkt zwischen der Arztpraxis und der Apotheke des Beklagten ausgetauscht. Die Patienten, die mit dieser Vorgehensweise des Beklagten und der Arztpraxis einverstanden waren, wurden zu keinem Zeitpunkt in der Apotheke des Beklagten vorstellig.

Die in der Arztpraxis Dres. W. und B. durchgeführte Behandlung der an Hepatitis C erkrankten Patienten lief regelmäßig so ab, dass die Patienten in einem ersten Termin untersucht und nach der Diagnose einer Hepatitis-C-Erkrankung zu einem weiteren Termin einbestellt wurden. In diesem zweiten Termin klärte der behandelnde Arzt über die durchzuführende Behandlung und die zu verabreichenden Medikamente sowie deren Nebenwirkungen auf. In einem dritten Termin wurden die Patienten durch eine Arzthelferin in der Arztpraxis in die Anwendung der vom Beklagten zu diesem Zeitpunkt dort bereitgestellten Medikamente und in die Selbstverabreichung der Pegasys-Fertigspritzen eingewiesen.

Der Kläger sieht in der beschriebenen Vorgehensweise einen wettbewerbsrechtlich relevanten Verstoß des Beklagten gegen das apothekenrechtliche Verbot von Absprachen über die Zuweisung von (Patienten mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke. Er hat beantragt, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, rezeptpflichtige Arzneimittel unter Umgehung des Rechts des Patienten auf freie Apothekenwahl sowie unter direkter Entgegennahme ärztlicher Rezepte an deren Aussteller abzugeben oder abgeben zu lassen. Darüber hinaus hat der Kläger die Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten und seine Verurteilung zur Erteilung von Auskünften über entsprechende Handlungen begehrt.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, es müsse gewährleistet sein, dass die betreffenden Medikamente für die Ersteinstellung der Hepatitis-C-Patienten in der Arztpraxis vollständig und in der richtigen Verabreichungsform vorhanden seien. Es sei daher unabdingbar, dass der Beklagte die Medikamente jeweils zeitgerecht zu den Einstellungsterminen in die Arztpraxis liefere.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Im zweiten Rechtszug hat der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt und der Kläger die Zurückweisung der Berufung beantragt. Hinsichtlich der Unterlassung hat der Kläger hilfsweise beantragt, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, rezeptpflichtige Arzneimittel nach ärztlicher Verordnung des Herrn Dr. med. J. B. , H. -Straße , R. , in dessen Praxis zu bringen, bringen oder aushändigen zu lassen, ohne dass die in der Verordnung namentlich bezeichnete Person nach Aushändigung der Verordnung selbst oder durch von ihr bevollmächtigte Dritte die Belieferung oder Aushändigung derselben ausdrücklich anordnet, ausgenommen hiervon, solche Verordnungen, welche Zytostatikazubereitungen enthalten, oder aber Arzneimittel, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen im Falle einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3c des Arzneimittelgesetzes bevorratet oder nach § 21 Abs. 2 Nr. 1c des Arzneimittelgesetzes hergestellt wurden, und weiter hilfsweise, es zu unterlassen, in Absprache mit dem in Berufungsausübungsgemeinschaft tätigen Arzt Dr. med. J. B. eine nicht genehmigte Rezeptsammelstelle in dessen Arztpraxis bzw. Gemeinschaftspraxis zu unterhalten.

Das Berufungsgericht hat den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen, rezeptpflichtige Arzneimittel unter direkter Entgegennahme ärztlicher Rezepte an deren Aussteller abzugeben oder abgeben zu lassen mit Ausnahme anwendungsfertiger Zytostatikazubereitungen, die im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt worden sind, und/oder von Arzneimitteln, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen im Falle einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3c des Arzneimittelgesetzes bevorratet oder nach § 21 Abs. 2 Nr. 1c des Arzneimittelgesetzes hergestellt wurden. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht den Beklagten bezogen auf die vorstehend bezeichneten Handlungen zur Auskunftserteilung verurteilt und die Schadensersatzpflicht festgestellt. Die weitergehende Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

I.
Das Berufungsgericht hat den vom Kläger im ersten Rechtszug gestellten Unterlassungsantrag (im Weiteren: Unterlassungshauptantrag) als zulässig und mit Einschränkungen als begründet angesehen. Dazu hat es ausgeführt:

Der Unterlassungshauptantrag sei bestimmt genug. Mit ihm solle dem Beklagten verboten werden, unter direkter Entgegennahme des Rezepts rezeptpflichtige Arzneimittel an den Aussteller eines ärztlichen Rezepts abzugeben oder abgeben zu lassen. Der Antrag reiche zwar zu weit, da er den in § 11 Abs. 2 bis 4 ApoG vorgesehenen Ausnahmen keine Rechnung trage. Er sei aber ansonsten aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 ApoG begründet. Die Bestimmung des § 11 Abs. 1 ApoG sei eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Sie schütze das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit des Apothekers. Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken stehe der Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 ApoG nicht entgegen, weil sie nach ihrem Artikel 3 Abs. 3 und ihrem Erwägungsgrund 9 die nationalen Vorschriften in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte unberührt lasse. Die zwischen der Arztpraxis Dres. W. und B. und dem Beklagten getroffene Vereinbarung, nach der dieser rezeptpflichtige Medikamente nach Vorlage der Rezepte durch die Arztpraxis direkt an den Arzt liefere, stelle eine nach § 11 Abs. 1 ApoG verbotene Zuweisung von Verschreibungen dar. Es handele sich bei den streitgegenständlichen Medikamenten weder um Zytostatikazubereitungen noch um Medikamente, die dem § 11 Abs. 4 ApoG unterfielen. Eine weitere Einschränkung des Verbots sehe das Gesetz nicht vor und sei auch im Streitfall nicht ausnahmsweise gerechtfertigt, weil hier auf andere Weise gewährleistet werden könnte, dass die von jeder Apotheke innerhalb eines halben Tages zu beschaffenden Medikamente bei der Ersteinweisung zur Verfügung stünden, die frühestens eine Woche nach dem zweiten Arzttermin stattfinde. Da der Beklagte zumindest fahrlässig gehandelt habe, seien die Anträge auf Feststellung seiner Schadensersatzpflicht und auf Auskunftserteilung ebenfalls begründet.

II.
Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.

1.
Das vom Berufungsgericht gegen den Beklagten ausgesprochene Unterlassungsgebot hat schon deshalb keinen Bestand, weil die im Unterlassungshauptantrag und im Tenor des landgerichtlichen Urteils enthaltene Wendung „unter Umgehung des Rechts des Patienten auf freie Apothekenwahl“ im Tenor des Berufungsurteils fehlt und das Berufungsgericht dem Kläger damit mehr zugesprochen hat, als dieser beantragt hat (§ 308 Abs. 1 ZPO; vgl. hierzu OLG Karlsruhe, GRUR 1982, 169, 171; Musielak in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 308 Rn. 13). Das vom Berufungsgericht ausgesprochene Unterlassungsgebot reicht insofern weiter als der vom Kläger gestellte Unterlassungshauptantrag, als das Verbot anders als der Klagenantrag Fälle erfasst, in denen der Patient nicht vom direkten Kontakt zur Apotheke ausgeschlossen wird (vgl. zur Frage, ob das Merkmal der Zuweisung erfüllt ist, wenn der Patient sein Einverständnis mit der direkten Zuleitung seines Rezepts an eine bestimmte Apotheke erklärt hat, Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank, ApoG, Stand Februar 2015, § 11 Rn. 8 f.). Der vorliegende Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO ist von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 I ZR 235/03, BGHZ 168, 179 Rn. 13 Anschriftenliste, mwN) und erfordert die Aufhebung des Berufungsurteils.

2.
Nach dem vorstehend Ausgeführten hat auch die Verurteilung des Beklagten nach den auf den Unterlassungshauptantrag bezogenen Anträgen auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht keinen Bestand.

3.
Der Rechtsstreit ist beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens weder im Sinne der Stattgabe der Klage mit einem der vom Kläger gestellten Unterlassungsanträge und den darauf jeweils bezogenen Folgeanträgen auf Feststellung der Schadensersatzpflicht und Auskunftserteilung (dazu unter II 3 a) noch im Sinne der Abweisung der Klage gemäß § 563 Abs. 3 ZPO zur Endentscheidung reif (dazu unter II 3 b). Die Sache ist daher nach § 563 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

a)
Die Klage kann mit den vom Kläger bislang gestellten Anträgen schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Beklagte nach den getroffenen Feststellungen die Verhaltensweisen, in denen der Kläger einen Verstoß gegen das in § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG geregelte Verbot der Zuweisung von (Kunden mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke erblickt, allein im Zusammenhang mit der medikamentösen Ersteinstellung und Ersteinweisung von Hepatitis-C-Patienten gezeigt und sich zur Rechtfertigung seines Verhaltens auf die bei einer solchen Ersteinstellung bestehenden besonderen Gegebenheiten berufen hat. Damit kann nur in diesem Umfang von einer Begehungsgefahr ausgegangen werden. Die in den Klageanträgen vorgenommene Verallgemeinerung geht demgegenüber zu weit, weil dort nicht mehr das Charakteristische der nach Ansicht des Klägers vom Beklagten begangenen wettbewerbswidrigen Verhaltensweise zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2006 – I ZR 27/03, BGHZ 166, 233 Rn. 36 – Parfümtestkäufe; Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 46/09, GRUR 2011, 433 Rn. 26 = WRP 2011, 576 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung; Urteil vom 20. Juni 2013 – I ZR 55/12, GRUR 2013, 1235 Rn. 18 = WRP 2014, 75 – Restwertbörse II).

b)
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann ein wettbewerbswidriges Verhalten des Beklagten nicht verneint werden.

aa)
Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Beklagte bei der Lieferung der Medikamente auf der Grundlage einer Absprache tätig geworden ist, die die Zuweisung von (Kunden mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG zum Gegenstand hatte. Die Regelung soll sicherstellen, dass der Erlaubnisinhaber einer Apotheke sich bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen wie insbesondere zu Ärzten, die Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten haben, nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Sie soll damit Verhaltensweisen der Apotheker entgegenwirken, die die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können. Die Vorschrift stellt damit eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 I ZR 120/13, GRUR 2014, 1009 Rn. 13 = WRP 2014, 1056 Kooperationsapotheke; Urteil vom 12. März 2015 I ZR 84/14, GRUR 2015, 1025 Rn. 15 = WRP 2015, 1085 TV-Wartezimmer; OLG Karlsruhe, GRURRR 2013, 470, 471; OLG Frankfurt am Main, GRURRR 2014, 270, 271; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 4 Rn. 11.77; MünchKomm.UWG/Schaffert, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 147; v. Jagow in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 45; Großkomm.UWG/Metzger, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 84; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 11 ApoG Rn. 2; Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 2 und 168 f.). Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, die nach ihrem Artikel 4 in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt hat, kennt zwar keinen der Bestimmung des § 4 Nr. 11 UWG entsprechenden Unlauterkeitstatbestand. Dieser Umstand steht der Anwendung der genannten Vorschrift aber nicht entgegen, weil die Rechtsvorschriften der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten, zu denen die Bestimmung des § 11 ApoG zählt, von der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken unberührt bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 I ZR 123/13, GRUR 2015, 916 Rn. 15 = WRP 2015, 1095 Abgabe ohne Rezept; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013, 470, 471 f.). Wegen des mit der Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG bezweckten Schutzes der Gesundheit der Verbraucher sind Verstöße gegen sie regelmäßig geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, GRUR 2015, 1025 Rn. 15 TV-Wartezimmer).

bb)
Das vom Kläger als Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG beanstandete Verhalten des Beklagten stellt kein nach einer der in § 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 ApoG enthaltenen Regelungen, die die Verbotstatbestände des § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG einschränken, zulässiges Verhalten dar.

Dies gilt auch im Blick auf die Bestimmung des § 11 Abs. 2 ApoG, wonach der Inhaber einer Erlaubnis zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke aufgrund einer Absprache anwendungsfertige Zytostatikazubereitungen, die im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt worden sind, unmittelbar an den anwendenden Arzt abgeben darf. Dabei kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen, ob diese Regelung analogiefähig ist (so Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung, 5. Aufl., Stand September 2012, § 35 Rn. 10; aA Rixen in Rixen/Krämer, ApoG, 2014, § 11 Rn. 41). Die Regelung des § 11 Abs. 2 ApoG trägt dem Umstand Rechnung, dass angesichts der an die Herstellung anwendungsfertiger Zytostatika in personeller, räumlicher und apparativer Hinsicht gestellten hohen Anforderungen erfahrungsgemäß nur einzelne Apotheken Verschreibungen von Zytostatikazubereitungen ordnungsgemäß ausführen können und die Zubereitungen zudem aus Sicherheitsgründen nicht den Patienten ausgehändigt werden sollten (Rixen in Rixen/Krämer aaO § 11 Rn. 41 mit Hinweis auf die Begründung des Entwurfs des Bundesrats eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes, BTDrucks. 14/756, S. 5).

Bei Arzneimitteln, die in der Arztpraxis an dem Patienten angewendet werden sollen (sogenannten Applikationsarzneimittel) und daher zum Zeitpunkt der in Aussicht genommenen Behandlung in der Arztpraxis vorhanden sein müssen, zu denen die hier in Rede stehenden Medikamente für die Ersteinstellung und Ersteinweisung von Hepatitis-C-Patienten rechnen, besteht grundsätzlich keine entsprechende oder immerhin nur annähernd vergleichbare Notwendigkeit oder Vorteilhaftigkeit einer solchen Verkürzung des Versorgungswegs unter Ausschluss des Patienten. Es gibt regelmäßig Möglichkeiten, ohne Umgehung des Patienten etwa durch eine telefonische Nachfrage sicherzustellen, dass die für die Ersteinstellung und Ersteinweisung eines Hepatitis-C-Patienten benötigten Medikamente, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von jeder Apotheke innerhalb eines halben Tages beschafft werden können, bei dem vereinbarten Termin in der Arztpraxis vollständig und in der richtigen Verabreichungsform zur Verfügung stehen. Abweichendes gilt nur, wenn ein hinreichender medizinischer Grund vorliegt wie etwa dann, wenn infolge Hilfsbedürftigkeit oder Unzuverlässigkeit des Patienten die rechtzeitige oder die qualitätswahrende Beschaffung eines Applikationsarzneimittels nicht gewährleistet und deshalb die ärztliche Therapie gefährdet ist (vgl. Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 39 bis 42, 104 und 115; aA Cyran/Rotta aaO § 17 Rn. 353 bis 358). In einem solchen Fall beruht die Zuweisung der Verschreibung nicht auf einer nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG verbotenen Absprache, sondern auf medizinischer Notwendigkeit (Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 104). Am Merkmal der Zuweisung fehlt es möglicherweise auch dann, wenn der Arzt dem Patienten vor der Anwendung eines Applikationsarzneimittels hierzu neutral verschiedene Auswahlmöglichkeiten an die Hand gibt, etwa in Form der Aushändigung des Rezepts an den Patienten oder in Form der Beauftragung des Arztes mit der Einlösung in einer vom Patienten bestimmten Apotheke oder in einer vom Arzt selbst ausgewählten Apotheke, und der Patient sich dann für die zuletzt genannte Möglichkeit entscheidet (vgl. Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 9). Dass die behandelnden Ärzte den Patienten vorliegend die Möglichkeit eröffnet haben, zwischen diesen Beschaffungsarten auszuwählen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

cc)
Der Streitfall lässt sich entgegen der Ansicht der Revision auch nicht mit dem Fall vergleichen, der der Senatsentscheidung „Kooperationsapotheke“ (BGH, GRUR 2014, 1009) zugrunde gelegen hat. Bei dem dort in Rede stehenden Entlassmanagement gemäß § 39 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB V obliegt es den im Auftrag der Krankenkassen handelnden Krankenhäusern, den Übergang in den nächsten Versorgungsbereich zu planen und zu organisieren und in diesem Zusammenhang die weitere Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln sowie mit Medikamenten zu koordinieren (BGH, GRUR 2014, 1009 Rn. 16 – Kooperationsapotheke). Die Koordinierung der weiteren Versorgung mit Medikamenten umfasst die Pflicht der mit der Durchführung des Entlassmanagements befassten oder beauftragten Person, den ersten Kontakt mit der vom Versicherten gewünschten Apotheke oder – wenn kein entsprechender Wunsch geäußert worden ist – mit einer nach den Umständen als geeignet erscheinenden Apotheke herstellen (BGH, GRUR 2014, 1009 Rn. 17 – Kooperationsapotheke). Eine entsprechende oder auch nur vergleichbare Sach- und Interessenlage liegt bei in der Praxis eines niedergelassenen Arztes zu verabreichenden Applikationsarzneimitteln grundsätzlich nicht vor.

dd)
Angesichts der strengen und im Grundsatz als abschließend anzusehenden Regelung des § 11 ApoG ist entgegen der Ansicht der Revision kein Raum für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze, die der Senat zur Frage der Zulässigkeit eines verkürzten Versorgungswegs bei Hörgeräten (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2000 – I ZR 59/98, GRUR 2000, 1080, 1081 bis 1083 = WRP 2000, 1121 – Verkürzter Versorgungsweg; Urteil vom 15. November 2001 – I ZR 275/99, GRUR 2002, 271, 272 f. = WRP 2002, 211 – Hörgeräteversorgung I; Urteil vom 13. Januar 2011 I ZR 111/08, GRUR 2011, 345 Rn. 36 bis 48 und 67 = WRP 2011, 451 HörgeräteversorgungII; Urteil vom 24. Juli 2014 I ZR 68/13, GRUR 2015, 283 Rn. 25 ff. = WRP 2015, 344 Hörgeräteversorgung III) und bei Brillen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 I ZR 13/07, GRUR 2009, 977 Rn. 14 und 31 = WRP 2009, 1076 Brillenversorgung I; Urteil vom 24. Juni 2010 I ZR 182/08, GRUR 2010, 850 Rn. 20 ff. = WRP 2010, 1139 Brillenversorgung II) entwickelt hat. Nach den für diese Entscheidungen maßgeblichen Bestimmungen ist die Verkürzung des Versorgungswegs schon dann zulässig, wenn dafür ein hinreichender Grund vorliegt (vgl. § 34 Abs. 5 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte und Ärztinnen in der bis zum Jahr 2011 geltenden Fassung [abgedruckt bei Lippert in Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte (MBO), 5. Aufl., S. 464] und § 31 Abs. 2 der Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte in der seither geltenden Fassung [abgedruckt bei Ratzel in: Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte, 6. Aufl., S. 465]; BGH, GRUR 2010, 1080, 1082 Verkürzter Versorgungsweg; GRUR 2009, 977 Rn. 20 bis 25 und 33 Brillenversorgung I; GRUR 2010, 850 Rn. 21, 24 und 28 f. Brillenversorgung II; GRUR 2011, 345 Rn. 36 ff. Hörgeräteversorgung II; GRUR 2015, 283 Rn. 35 ff. Hörgeräteversorgung III; Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 29 bis 33 mwN). Dagegen gelten die in § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG geregelten Kooperationsverbote wie das Verbot der Zuweisung von (Kunden mit) Verschreibungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG nur in den in § 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 ApoG geregelten Fällen und allenfalls noch in damit vergleichbaren Fällen nicht, in denen jeweils triftige Gründe gegen die Geltung der Kooperationsverbote sprechen.

III.
In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit eines vom Kläger neu formulierten Unterlassungsantrags zu beachten haben, dass mögliche Einschränkungen aufgrund von gesetzlichen Ausnahmetatbeständen in den Unterlassungsausspruch aufgenommen werden müssen, damit danach erlaubte Verhaltensweisen von dem Verbot ausgenommen sind. Wegen des Bestimmtheitsgebots gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO müssen dabei die Umstände, aus denen sich die Erfüllung des jeweiligen Ausnahmetatbestands ergibt, so genau umschrieben sein, dass im Vollstreckungsverfahren erkennbar ist, welche konkreten Handlungen vom Verbot ausgenommen sind. Es genügt daher grundsätzlich nicht, auf die insoweit einschlägigen gesetzlichen Regelungen zu verweisen, wenn deren Tatbestandsmerkmale nicht eindeutig oder durch eine gefestigte Auslegung geklärt sind. Abweichendes gilt nur, wenn eine weitergehende Konkretisierung nicht möglich und die gewählte Antragsformulierung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist (vgl. zum Vorstehenden BGH, Urteil vom 29. April 2010 I ZR 202/07, GRUR 2010, 749 Rn. 25 bis 27 = WRP 2010, 1030 Erinnerungswerbung im Internet; Urteil vom 4. November 2010 I ZR 118/09, GRUR 2011, 539 Rn. 15 bis 17 = WRP 2011, 742 Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker).

Entgegen der Ansicht der Revision braucht im Unterlassungsantrag nicht danach differenziert zu werden, ob der Arzt die Rezepte für einen Patienten oder für den Eigenbedarf ausgestellt hat. Ein Verbot, Rezepte für den eigenen Bedarf auszustellen, steht im Streitfall von vornherein nicht in Rede.

Vorinstanzen:
LG Regensburg, Urteil vom 12.06.2013, Az. 2 HKO 224/13
OLG Nürnberg, Urteil vom 27.12.2013, Az. 3 U 1394/13