OLG Frankfurt a.M.: Es handelt sich um irreführende Werbung, wenn die Produktgestaltung nicht vorhandene technische Eigenschaften suggeriert

veröffentlicht am 25. Oktober 2018

OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 16.08.2018, Az. 6 U 40/18
§ 5 Abs. 1 UWG

Die Entscheidung des OLG Frankfurt haben wir hier zusammengefasst (OLG Frankfurt – Irreführung über technische Eigenschaften), den Volltext finden Sie nachfolgend:


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Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 7.2.2018 verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a. M. abgeändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird unter Aufhebung der Beschlussverfügung des Landgerichts Frankfurt a. M. vom 28.11.2017 zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Gründe


Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313a ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Nach dem Sach- und Streitstand im vorliegenden Eilverfahrens steht der Antragstellerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch, der sich gegen Angebot und Vertrieb von Schuhen mit Sohlen gemäß der angegriffenen Ausführungsform richtet, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

1.
Die beanstandete Sohle enthält keine irreführenden Angaben im Sinne von § 5 I UWG.

Einem Verstoß gegen § 5 UWG steht allerdings nicht entgegen, dass die genannte Produkteigenschaft von der Antragsgegnerin nicht ausdrücklich behauptet wird. Wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, kann eine „Angabe“ im Sinne von § 5 I 2 UWG auch konkludent erfolgen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl., Rn. 1.39 zu § 5 m.w.N.).

Unerheblich für die Beurteilung nach § 5 UWG ist auch, ob und in welchem Umfang die von der Antragstellerin X-Technologie tatsächlich technische Vorteile gegenüber herkömmlichen Sohlen aus anderen Kunststoffen hat. Wenn der angesprochene Verkehr auch nur meint, eine besondere Technologie biete solche Vorteile, und deswegen seine Kaufentscheidung davon abhängig macht, führt die unzutreffende Angabe, diese Technologie ebenfalls einzusetzen, zu einer relevanten Irreführung.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann jedoch nach der Glaubhaftmachungslage nicht davon ausgegangen werden, dass ausreichende Teile des angesprochene Verkehrs mit der Oberflächengestaltung dieser Sohle die unzutreffende Vorstellung verbinden, diese Sohle bediene sich – ebenso wie die „Y“-Sohle der Antragstellerin mit einer ähnlichen Oberflächenstruktur – einer bestimmten Technologie (X) und weise daher besondere Produkteigenschaften auf.

Bei der Ermittlung des angesprochenen Verkehrskreises ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin die beanstandete Sohle für Schuhe mit überwiegend auffälligen Oberschuhmustern verwendet, die sie u.a. als „Bedruckte Sneaker“, „Sportive Jaquardsneaker“ oder auch „Trendige Fitwear-Sneaker“ bezeichnet (Anlage AST 14). Es kann dahinstehen, ob diese Schuhe überhaupt als Laufschuhe geeignet sind oder hierfür ernsthaft in Betracht gezogen werden. Die Gestaltung sowohl der Schuhe selbst als auch des Angebots macht deutlich, dass die Schuhe jedenfalls auch und sogar überwiegend als sportliche Alltagsschuhe verstanden werden. Zum angesprochenen Verkehrskreis zählen damit zwar auch, aber nicht nur sportlich orientierte Läuferinnen, sondern alle sportlich-modebewussten Frauen, die als Abnehmer derartiger Sneaker für den Alltagsgebrauch in Betracht kommen.

Die Angehörigen dieses Verkehrskreises können – da die Oberflächengestaltung der beanstandeten Sohle aus sich heraus keinen Hinweis auf die verwendete Technologie erkennen lässt – der von der Antragstellerin behaupteten Fehlvorstellung nur unterliegen, wenn sie die „Y“-Sohle der Antragstellerin kennen, wissen, dass deren Oberflächenstruktur das „Erkennungszeichen“ der dort verwendeten Technologie ist und die Sohle der Antragsgegnerin wegen der Identität oder zumindest weitgehenden Ähnlichkeit der Oberflächenstruktur mit derjenigen der „Y“-Sohle ebenfalls dieser besonderen Technologie zuordnen.

Auch wenn ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verbraucherinnen die – inzwischen recht verbreiteten – Schuhe der Antragstellerin mit der „Y“-Sohle bereits gesehen und auch die besondere Oberflächenstruktur der Sohlen („Y-Look“) zur Kenntnis genommen hat, bedeutet dies noch nicht, dass darin auch ein „Erkennungszeichen“ für eine besondere Technologie gesehen wird. Denn auch bei der „Y“-Sohle erschließt sich aus der Betrachtung der Sohle allein nicht, dass die „styroporartige“ Oberfläche insofern das Ergebnis des bei der X-Technologie angewandten Herstellungsprozesses ist, als nach der Formung der Sohle die zusammengepressten Kunststoffkugeln der Sohlenoberfläche die charakteristische Struktur verleihen. Der situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsverbraucher hat keinen Anlass, sich über die Gründe für die Gestaltung der Sohlenoberfläche nähere Gedanken zu machen; er sieht in der Sohlenoberfläche daher zunächst als dekoratives Gestaltungsmittel. Der spezifische Zusammenhang zwischen Oberfläche und technischen Eigenschaften der Sohle müsste dem angesprochenen Verkehr vielmehr – um eine Fehlvorstellung der von der Antragstellerin behaupteten Art überhaupt zu ermöglichen – in irgendeiner Weise, beispielsweise durch intensive Werbung oder auch Berichterstattung hierüber, nahegebracht worden sein.

Die Antragstellerin hat jedoch nur wenige Darstellungen aus ihrer eigenen Werbung oder von dritter Seite vorgelegt, in denen der „Y-Look“ in der genannten Weise als Erkennungsmerkmal für die bei der Sohle verwendete Technologie erläutert und verdeutlicht wird. Es handelt sich insoweit zum einen um in der Anlage ASt 12 enthaltene einzelne Berichte sowie Angebote von Online-Händlern; zum andern hat die Antragstellerin ein YouTube-Video („Das steckt in Y“; Anlage ASt 40) veröffentlicht, in dem der genannte Zusammenhang dargestellt wird. Diese Internetseiten werden jedoch erfahrungsgemäß nur von Verbrauchern aufgesucht, die sich entweder aufgrund besonderen Interesses an Laufschuhen über neue Entwicklungen ständig informieren, oder die einem „Y“-Schuh begegnet sind und sich deswegen über weitere Einzelheiten hierüber im Internet informieren wollen. Diese Interessenten machen jedoch allenfalls einen geringen Teil des im vorliegenden Fall angesprochenen und zu berücksichtigenden Verkehrskreises aus. An Werbemitteln, die sich demgegenüber an den noch nicht interessierten Verbraucher wenden und den erforderlichen Zusammenhang verdeutlichen, hat die Antragstellerin lediglich ein einzelnes Photo aus der Sportabteilung eines Ladengeschäfts (S. 22 des Schriftsatzes vom 17.1.2018; Bl. 178 d.A.), welches für sich allein ebenfalls keine andere Beurteilung rechtfertigt.

Darüber hinaus kann nicht angenommen werden, dass selbst der geringe Teil des angesprochenen Verkehrs, dem die technischen Hintergründe des „Y-Looks“ geläufig sind, Betrachtung der angegriffenen Sohle durchgängig zu dem Schluss gelangt, die Sohle bediene sich dergleichen Technologie wie die „Y“-Sohle. Die Sohle der Antragsgegnerin unterscheidet sich nämlich von der „Y“-Sohle insoweit, als die einzelnen Erhebungen auf der Oberfläche gerade nicht abgerundet, sondern deutlich „kantig“ erscheinen. Diesem Unterschied kommt im vorliegenden Zusammenhang deswegen Bedeutung zu, weil gerade derjenige, der den geschilderten Zusammenhang zwischen der X-Technologie und der „…“ Sohlenoberfläche des „Y“-Schuhs kennt, nicht annehmen wird, dass die eher „kantige“ Oberfläche der angegriffenen Sohle ebenfalls Ergebnis dieses Verfahrens sein kann. Die Antragstellerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in bestimmten Angebotssituationen wie etwa im Internet oder im Schaufenster eines Ladengeschäfts die Einzelheiten der Sohlenoberfläche ohnehin nicht im Einzelnen zu erkennen seien. Denn solange eine solche Erkennbarkeit nicht gegeben ist, werden beim Kaufinteressenten auch keine konkreten Vorstellungen über die mit der Sohlengestaltung möglicherweise verbundenen Produkteigenschaften hervorgerufen.

Insgesamt ist daher der Anteil des angesprochenen Verkehrs, der der von der Antragstellerin behaupteten Fehlvorstellung unterliegt, nach der Glaubhaftmachungslage als sehr gering einzustufen. Diese Irreführungsquote reicht nicht aus, um den Vorwurf eines Verstoßes gegen § 5 I UWG zu begründen.

Hinsichtlich der erforderlichen Irreführungsquote kann nach der Änderung des Verbraucherleitbildes einerseits nicht an der Formel festgehalten werden, dass eine Irreführung „nicht unerheblicher Teile des angesprochenen Verkehrs“ ausreiche; andererseits wird man eine Irreführung des verständigen Durchschnittsadressaten nicht erst bei einer Irreführungsquote von 50 % annehmen können. Im Allgemeinen ist daher eine Irreführungsquote von einem Viertel bis einem Drittel der Bereich, in dem ein Verstoß gegen § 5 I UWG in Betracht kommt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen a.a.O. Rn. 1.99 ff. zu § 5 UWG). Dass eine solche Irreführungsquote im vorliegenden Fall erreicht ist, kann aus den bereits genannten Gründen nicht angenommen werden.

Allerdings kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen a.a.O. Rn. 1.103 mit entsprechenden Nachweisen) hinsichtlich der erforderlichen Irreführungsquote im Einzelfall durchaus ein „normatives Korrektiv“ in Betracht. Insbesondere hat der Bundesgerichtshof in besonders gelagerten Fällen ausdrücklich eine deutlich geringere Irreführungsquote ausreichen lassen, wenn nämlich zwar nur ein sehr geringer Teil des angesprochenen Verkehrs irregeführt wird, die Werbung aber nach den Gesamtumständen „gerade darauf angelegt“ ist, diesen geringen Teil des Verkehrs gezielt zu täuschen, und ein schutzwürdiges Interesse an der Werbung nicht besteht (vgl. insbesondere BGH GRUR 2012, 184 [BGH 30.06.2011 – I ZR 157/10] – Branchenbuch Berg, Rn. 25). Auch unter diesem Gesichtspunkt kann die beanstandete Sohlenoberfläche jedoch nicht als irreführend eingestuft werden. Jedenfalls die bereits dargestellten und für die Beurteilung nach § 5 UWG maßgeblichen Unterschiede in den sich gegenüberstehenden Sohlenoberflächen sprechen gegen die Annahme, dass es der Antragsgegnerin bei der Gestaltung ihres Erzeugnisses allein darum gegangen sei, zumindest einen geringen Teil des angesprochenen Verkehrs gezielt irrezuführen. Ob die weitere Darstellung der Antragsgegnerin zur Entstehungsgeschichte der angegriffenen Sohle und der dabei verfolgten Motive überzeugend ist, bedarf daher keiner weiteren Erörterung.

2.
Der Verfügungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 4 Nr. 3 b) UWG.

Die Antragstellerin beansprucht Nachahmungsschutz weder für einen bestimmten Schuh noch für eine bestimmte Sohle in ihrer Gesamtgestaltung, sondern allein für die Oberflächenstruktur dieser Sohle. Dieses einzelne, für den Gesamteindruck eines Schuhs auch eher untergeordnete Gestaltungsmerkmal ist jedoch einer wettbewerblichen Eigenart und damit einem Nachahmungsschutz nach § 4 Nr. 3 UWG von vornherein nicht zugänglich.

Darüber hinaus kann zwar auch einem „Produktprogramm“ als einer Gesamtheit von Erzeugnissen mit Gemeinsamkeiten in der Zweckbestimmung und Formgestaltung wettbewerbliche Eigenart zukommen, soweit diese Erzeugnisse über gemeinsame Merkmale mit charakteristischen Besonderheiten verfügen, die bewirken, dass sich die zum Programm gehörenden Gegenstände für den Verkehr deutlich von Waren anderer Hersteller unterscheiden (vgl. BGH GRUR 2008, 793 [BGH 30.04.2008 – I ZR 123/05] – Rillenkoffer, Rn. 29). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt.

Die Antragstellerin bietet zwar eine Vielzahl von Schuhen an, deren Sohlen die „Y“-Oberflächenstuktur aufweisen. Jedoch sind nicht nur die Oberschuhe ganz unterschiedlich gestaltet. Auch die Form der Sohlen variiert stark; zum Teil sind die Seitenflächen mit zusätzlichen Applikationen teilweise verdeckt (vgl. insbesondere Anlage AST 24). Damit handelt es sich nicht um ein „Produktprogramm“ im Sinn der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dessen Gesamterscheinungsbild durch für das Programm charakteristische übereinstimmende Merkmale geprägt wird, welche dann bei den Einzelerzeugnissen nur noch an den jeweiligen konkreten Gebrauchszweck angepasst werden. Aus der Sicht des Verkehrs handelt es sich vielmehr um eine Vielzahl von Produkten mit jeweils eigenständigem Gesamteindruck, die lediglich in einem für den jeweiligen Gesamteindruck unwesentlichen Detail, nämlich der Oberfläche der Sohlenseiten, übereinstimmen. Dies kann eine wettbewerbliche Eigenart dieses einzelnen Merkmals nicht begründen.

Aber selbst wenn man eine wettbewerbliche Eigenart allein der Sohlenoberfläche bejahen wollte, fehlt es jedenfalls an den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 3 b) UWG. Denn wenn der angesprochene Verkehr – wie unter Ziffer 1. ausgeführt – keiner Fehlvorstellung hinsichtlich der Produkteigenschaft unterliegt, erschöpft sich der beim Verkehr hervorgerufene Eindruck darin, dass die Sohlenoberfläche beim Schuh der Antragsgegnerin derjenigen beim Schuh der Antragstellerin recht ähnlich ist. Dies wird den Kaufinteressenten jedoch nicht zu dazu veranlassen, sich allein wegen dieser Ähnlichkeit für den Schuh der Antragsgegnerin zu entscheiden. Damit ist eine Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung, die der Verkehr den „Y“-Sohlen entgegenbringt, nicht zu befürchten.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Vorinstanz:
LG Frankfurt a.M., Az. 3-8 O 173/17