OLG Frankfurt a.M.: Ein Mittel gegen Verdauungsbeschwerden ist nicht zwangsläufig ein Arzneimittel

veröffentlicht am 24. Januar 2019

OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 02.08.2018, Az. 6 U 148/17
§ 2 AMG, § 21 AMG; § 3a UWG

Die Zusammenfassung der Entscheidung des OLG Frankfurt finden Sie hier (OLG Frankfurt – Arzneimitteleigenschaft), den Volltext unten:


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Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das am 21.06.2017 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe


I.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Der Kläger betreibt mehrere Apotheken im …-Gebiet, u.a. die A-Apotheke im X-Zentrum. Die Beklagte vertreibt über Apotheken das Produkt „Marke1“. Es enthält den Wirkstoff „…“. Auf der Produktverpackung sowie in der Packungsbeilage und auf den Internetseiten der Beklagten ist das Produkt mit der Aussage „Zur Verhütung/Linderung von durch Fruktosemalabsorption bedingte Verdauungsbeschwerden“ als Medizinprodukt gekennzeichnet.

Der Kläger ist der Auffassung, bei dem Produkt handele es sich um ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, da es auf den menschlichen Metabolismus einwirke. Er verlangt deshalb von der Beklagten, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, das Produkt „Marke1“ in den Verkehr zu bringen oder in den Verkehr bringen zu lassen, ohne dass dieses als Arzneimittel zugelassen ist und darüber hinaus das Produkt „Marke1“ mit der Aussage „Zur Verhütung/Linderung von durch Fruktosemalabsorption bedingte Verdauungsbeschwerden“ in den Verkehr zu bringen oder in den Verkehr bringen zu lassen, ohne dass dieses als Arzneimittel zugelassen ist.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es liege kein Funktionsarzneimittel vor, weil physiologische Funktionen des Körpers nicht beeinflusst würden. Ebenso wenig liege kein Präsentationsarzneimittel vor, da das Produkt ausdrücklich als Medizinprodukt gekennzeichnet sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Der Kläger ist der Auffassung, es handele sich um ein Funktionsarzneimittel, weil das Produkt metabolisch wirke. Auch die Einordnung als Präsentationsarzneimittel könne nicht verneint werden, weil das Produkt wie ein Arzneimittel aufgemacht sei. Dies zeige sich auch darin, dass das Produkt laut Beipackzettel verabreicht werde.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,– €, falls dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstecken an ihrem Geschäftsführer, zu verurteilen,

das Produkt „Marke1“ in den Verkehr zu bringen oder in den Verkehr bringen zu lassen, ohne dass dieses als Arzneimittel zugelassen ist

und/oder

das Produkt „Marke1“ mit der Aussage „Zur Verhütung/Linderung von durch Fruktose-Malabsorption bedingte Verdauungsbeschwerden“ in den Verkehr zu bringen oder in den Verkehr bringen zu lassen, ohne dass dieses als Arzneimittel zugelassen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.

II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Die von dem Kläger geltend gemachten Unterlassungsansprüche bestehen nicht, weil es sich bei dem von der Beklagten vertriebenen Produkt „Marke1“ nicht um ein Arzneimittel gemäß § 2 AMG handelt, das der Zulassungspflicht nach § 21 AMG unterläge, weshalb es an einem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gemäß § 3a UWG fehlt.

„Marke1“ ist nicht als Funktionsarzneimittel einzustufen. Dabei ist entgegen der Auffassung des Landgerichts davon auszugehen, dass „Marke1“ die physiologischen Funktionen des Körpers beeinflusst, nicht jedoch durch eine metabolische Wirkung. Insoweit kann auf die Ausführungen des Senats im Eilverfahren (…) Bezug genommen werden, wo es heißt:

„Nach Art. 1 Nr. 2 b) der Richtlinie 2001/83/ EG sind Funktionsarzneimittel „alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verabreicht werden, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen…“.
Durch das angegriffene Produkt werden die menschlichen physiologischen Funktionen weder wiederhergestellt noch korrigiert noch beeinflusst, und zwar weder durch eine pharmakologische noch durch eine metabolische Wirkung.

Das angegriffene Produkt „Marke1“ soll bei Fructose-Intoleranz angewendet werden. Bei einer Fructose-Intoleranz wird mit der Nahrung verzehrte Fructose im Dünndarm nicht resorbiert und gelangt in den Dickdarm. Dort wird die Fructose von den Darmbakterien vergoren, was zu Verdauungsbeschwerden wie z. B. Blähungen, Bauchkrämpfen und Durchfall führen kann. „Marke1“ enthält als Wirkstoff das Enzym …. Dieses Enzym sorgt dafür, dass die Fructose im Dünndarm in gut resorbierbare Glucose, d. h. in Traubenzucker umgewandelt wird.

Das bedeutet, dass der Verzehr des angegriffenen Produkts nicht dazu führt, die Fähigkeit des Körpers, Fructose als solche im Dünndarm zu resorbieren, wiederherzustellen. Stattdessen nimmt es dem Körper die Aufgabe ab, Fructose bereits im Dünndarm zu resorbieren, indem es die Fructose im Dünndarm in Glucose umwandelt. Damit fehlt es nicht nur an einer Wiederherstellung oder Korrektur, sondern auch an einer Beeinflussung menschlicher physiologischer Funktionen.

Die Beeinflussung menschlicher physiologischer Funktionen durch metabolische Wirkung setzt voraus, dass sich das Produkt nennenswert auf den Stoffwechsel auswirkt und die Funktionsbedingungen des Körpers wirklich beeinflusst (EuGH, GRUR 2008, 271, Tz. 60 – Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel). Diese Wirkung hat das angegriffene Produkt nach dem Vorbringen des Antragstellers nicht. Es wirkt sich nicht auf den Stoffwechselprozess aus, sondern verändert selbst den fructosehaltigen Speisebrei so, dass ein fructose-intoleranter Organismus ihn „normal“ verdauen kann, nämlich indem die Fructose zu Glucose umgewandelt wird. Die Funktionsbedingungen des Körpers werden dabei nicht beeinflusst. Dabei kann als richtig unterstellt werden, dass Fructose natürlicherweise nicht im Dünndarm zu Glucose umgewandelt wird. Hierbei handelt es sich um die Wirkung des angegriffenen Produkts, die jedoch erzielt wird, ohne menschliche physiologische Funktionen durch metabolische Wirkung zu beeinflussen. Wie die Antragsgegnerin in ihrer Antwort auf die Abmahnung des Antragstellers vom 16. November 2016 unwidersprochen ausgeführt hat, erfolgt die Reaktion von … auf Gluctose unabhängig von dem Ort, an dem sich die Fructose befindet; sie könnte die Fructose ebenso in einer Schüssel in Glucose umwandeln.

Das angegriffene Produkt beeinflusst menschliche physiologische Funktionen auch nicht durch eine pharmakologische Wirkung. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt das Tatbestandsmerkmal der pharmakologischen Wirkung eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet, voraus, die entweder in einer direkten Reaktion resultiert oder die Reaktion eines anderen Agens blockiert (GRUR-RR 2013, 485, Tz. 28). Da die Moleküle des angegriffenen Produkts unstreitig nicht in eine Wechselwirkung zu einem im Organismus des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil treten, fehlt es an einer pharmakologischen Wirkung.“

Soweit der Kläger mit der Berufungsbegründung erneut geltend macht, „Marke1“ wirke metabolisch, weil es den Speisebrei im Dünndarm enzymatisch umwandele, so ist dies unstreitig, aber aus den im Eilverfahren bereits dargelegten Gründen auch unerheblich. Eine metabolische Wirkung läge nur dann vor, wenn der Stoffwechselprozess des menschlichen Körpers beeinflusst würde. Eine metabolische Wirkung folgt auch nicht daraus, dass dem Körper durch eine enzymatische Umwandlung Glukose zugeführt wird. Denn auch dies beeinflusst nicht den natürlichen Ablauf des Stoffwechselprozesses.

Aus der Aufmachung von „Marke1“ folgt auch nicht, dass es sich um ein Präsentationsarzneimittel handelt. Insoweit hat der Senat im Eilverfahren (…) ausgeführt:

„Der Eilantrag zu 2. ist unbegründet, weil es sich bei dem Produkt „Marke1“ auch nicht um ein Präsentationsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 a) der Richtlinie 2001/83/ EG handelt. Danach liegt ein Präsentationsarzneimittel dann vor, wenn das Produkt aufgrund seiner Aufmachung den Eindruck erweckt, es sei dazu bestimmt sind als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten eingesetzt zu werden. Bei dem auf der Verpackung von „Marke1“ gegebenen Hinweis: „Zur Verhütung/Linderung von durch Frucotse-Malabsorption bedingten Verdauungsbeschwerden“ handelt es sich lediglich um die von § 3 Nr. 1 MPG vorgeschriebene Zweckbestimmung. Dem Eindruck als Präsentationsarzneimittel wirkt das angegriffene Produkt auch dadurch entgegen, dass auf der Verpackung seitlich fettgedruckt der Hinweis angebracht ist, dass es sich um ein Medizinprodukt handelt.“
Insoweit gibt das Hauptsacheverfahren keinen Anlass zu weiteren Ausführungen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.

Vorinstanz:
LG Frankfurt a.M., A. 2-6 O 77/17